Halo - Tochter der Freiheit
der Cheiron zeigte, wie er den Asklepios in der Heilkunst unterrichtete? Warum waren nur die bösen Zentauren zu sehen?
Leonidas schaute ebenfalls hinauf, dann wanderte sein Blick nachdenklich zu Halo.
Sie kehrten zur Treppe an der Ostseite des Tempels zurück, wo nun das Hauptopfer stattfinden sollte, und gesellten sich zu den anderen Pilgern, die bereits eine Warteschlange bildeten. Gleich würden die Lose gezogen werden.
Melesippos und Mantiklas hatten sich ebenfalls umgesehen und stießen nun gerade noch rechtzeitig zu Leonidas und Halo, denn die waren inzwischen schon bis zur Spitze der Warteschlange vorgerückt.
»Hier, Melesippos«, rief Leonidas. »Ich habe mich schon für uns angestellt.«
»Zieh du unsere Bohne, Leon«, sagte Melesippos. »Vielleicht bringst du uns Glück.«
Seite an Seite traten Halo und Leonidas vor den Topf, um eine Bohne als Los herauszunehmen.
»Du willst es also wirklich tun?«, murmelte Leonidas.
»Ja«, flüsterte sie zurück. »Ja, ich will.«
Halo schloss die Augen und ergriff eine kleine harte Bohne. Sie betete zu Apollon, sie auszuwählen, damit sie ihre Frage stellen konnte.
Der Priester verkündete, dass alle, die eine schwarze Bohne gezogen hätten, zum Opfer vortreten sollten.
Halo wagte es kaum, einen Blick auf die Bohne in ihrer Hand zu werfen.
Und wenn sie weiß ist, komme ich eben noch einmal hierher … irgendwann … später …
Sie öffnete die Hand.
Die Bohne war schwarz.
Sie strahlte und schickte aus tiefstem Herzen ein Dankgebet an Apollon. Jetzt war es ihr egal, welches Los die Spartaner gezogen hatten und ob deren Bohne hell oder dunkel war. Aber Melesippos packte Leonidas an beiden Schultern, und sie lächelten sich an – auch die Spartaner hatten eine dunkle Bohne gezogen.
Halo fragte sich, was die Krieger wohl von dem Orakel wissen wollten.
In diesem Moment breitete sich andächtige Stille in der Menschenmenge aus, denn die Priester brachten eine Ziege, ein Becken mit kaltem Wasser und ein Messer zur Opferstelle. Die kleine Ziege stakste breitbeinig und unsicher über die blank gewetzten flachen Steine vor den Säulen. Die Priester stimmten Gesänge an, dann legte sich wieder die Stille des Morgens über den Tempel und die Pilgerschar.
Alle hörten das Platschen des eiskalten Wassers, mit dem die Priester die kleine Ziege bespritzten.
Das Tier zuckte erschreckt zusammen – vom Kopf bis zu den haarigen Füßen lief ein Zittern.
Die Menge stieß einen gewaltigen Freudenschrei aus. Die Ziege hatte gezittert! Das Orakel würde heute sprechen.
ΚΑΠΙΤΕΛ 16
Als die Spartaner an die Reihe kamen und in den Tempel treten wollten, hielt der Priester sie sanft zurück.
»Immer nur zwei«, sagte er.
Leonidas zuckte gleichgültig die Schultern und wies auf Halo, die immer noch mit ihm zusammengekettet war und hinter ihm herlief wie ein Maultier hinter seinem Herrn. »Ich warte hier draußen«, sagte er.
Kaum waren die beiden anderen im Tempel verschwunden, als Halo Leonidas auch schon in heller Vorfreude anstrahlte und zu einem kleinen Altar zerrte, der vor dem Tempel im Schatten des großen Portikus stand, um dem Priester dort ihr Stückchen Gerstenbrot als Opfergabe zu übergeben.
Der Priester blickte auf die Kette.
»Du musst ihn freigeben«, sagte er zu Leonidas. »Niemand darf den Tempel in Fesseln betreten.«
Leonidas lachte leise und schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, während er den Verschluss an seinem Handgelenk öffnete. Halo grinste ihn an. Sie hatte immer gewusst, dass er das Richtige für sie tun würde. Hatte er das nicht immer getan, wenn es nötig war? Die Kette fiel und hing schwer an ihrem Arm.
»Hast du die Gebühr mitgebracht?«, fragte der Priester freundlich. Halo nickte und legte stumm den Finger auf ihr goldenes Amulett.
»Du weißt, welche Frage du stellen wirst?«, fragte der Priester weiter, und sie nickte noch einmal. Sie konnte nicht mehr sprechen, aber der Priester schien das zu kennen.
»Und das ist dein Proxenos ?«
Mein was?, dachte sie.
»Ich weiß nicht …«, sagte sie unsicher.
»Der Vertreter deiner Heimatstadt, der dich begleiten muss«, erklärte er streng.
»Ich weiß nicht, aus welcher Stadt ich stamme«, flüsterte sie unglücklich. Musste sie denn sogar hier zu einer Stadt gehören? War sie nicht hierhergekommen, um genau das herauszufinden?
»Keine Stadt!«, murmelte der Priester bekümmert.
Er wandte sich nun an Leonidas, der trocken bemerkte: »Nun, aus meiner Stadt
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