Halo - Tochter der Freiheit
doch kein Pferd. Bringt ihn zu Perikles, heißt es!«, rief er zurück.
Die anderen Reiter ließen Halo nicht aus den Augen. Wer sind sie?, dachte sie.
Der Hauptmann brachte die beiden zur nahe gelegenen Agora, dem zentralen Marktplatz von Athen. Die Menschen drehten sich nach ihnen um, flüsterten, starrten sie an und folgten ihnen. Die Nachricht von der Ankunft eines Zentauren hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Götter hatten Athen zum großen Fest der Dionysien ein mythologisches Tier geschickt!
Halo sah sich neugierig um. Dort lag die Akropolis – so nah! So hoch! Und so groß! Jedes Haus, an dem sie vorüberkamen, war schöner und größer als alles, was sie je gesehen hatte. Da ein Tempel und dort, auf dem kleinen Hügel, noch einer. Hier ein Bogengang, unter dem vornehm gekleidete Athener wandelten. Sie kam sich mit einem Mal sehr klein vor. Es gab Läden und Barbiere, Tiere, Wasserspiele, Brunnen, Häuser, Marmorbänke, Zypressen, grasbewachsene Plätze, steinerne Gehwege, rennende Kinder, Sklaven, die Einkäufe schleppten, Straßenmusikanten, Badehäuser – oh, wie schön das alles war. Und wie riesig. Meine Stadt, dachte sie. Mein Volk. So viele Menschen .
Ja, und du gehörst zu den Verbannten dieser Stadt.
Sie holte tief Luft. Atmete tief und ruhig ein. Sie wusste nicht, wohin die Reiter sie brachten. Es kam ihr plötzlich ziemlich dumm von ihr vor, dass sie hierhergekommen war. Einfach nach Athen zu laufen, ganz unvorbereitet, so klein und unbedeutend. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete oder was sie tun sollte. Sie war hilflos. Arko hatte wenigstens den Schutz Apollons, das war sogar auf seinen Leib geschrieben. Sie dagegen hatte nichts, und ihre Tätowierung war bedeutungslos.
Sie überlegte, ob sie den einäugigen Hauptmann fragen konnte, wohin er sie brachte. Aber selbst wenn der Mann den Eindruck gemacht hätte, dass man ihn einfach so etwas hätte fragen können – er saß so hoch auf seinem Pferd, dass er sie wahrscheinlich gar nicht gehört hätte. Sie wollte nicht neben ihm herlaufend ihn an der Seidenhose zupfen und wie ein Bettelkind greinen: »Bitte, gnädiger Herr!«
Ich bin ein Junge, ich bin ein Junge, und ich habe nichts Verkehrtes getan. Ich bringe wichtige Nachricht aus Delphi. Verbannt oder nicht, ich muss meine Eltern finden. Megakles und Aiella.
Vielleicht war es klüger, erst etwas über ihre Eltern in Erfahrung zu bringen, bevor sie herumerzählte, wessen Kind sie war? Der Hauptmann brachte sein drahtiges Ross zum Stehen. Mit einer knappen Kopfbewegung winkte er einen Jungen herbei und wechselte ein paar Worte mit ihm. Ganz in der Nähe stand eine Gruppe von Männern. Sie drehten sich nach ihnen um, als sie den Aufruhr um Arko bemerkten. Einer von ihnen war ein großer, stattlicher Mann mit lockigen grauweißen Haaren, die Halo an den Meerschaum erinnerten, wenn die Wellen sich über den Sandstrand verliefen. Obwohl er schon älter war, wirkte er kräftig. Sie mochte ihn auf Anhieb und lächelte ihn an. Er betrachtete erst sie, dann Arko und zog seine Augenbrauen hoch. Dann nickte er kurz, woraufhin der Hauptmann den Kopf neigte, sein Pferd wendete und davontrabte.
Ein mächtiger Mann , dachte sie, aber ein freundlicher Mann.
»Willkommen in Athen!«, sagte der Mann, trat auf sie zu und reichte ihnen die Hand, erst Arko, dann ihr. »Ich gestehe, dass ich noch nie einem Zentaur begegnet bin und immer der Meinung war, es handele sich um mythologische Wesen. Vergebt mir meine Unhöflichkeit. Ich bin entzückt, dass ich unrecht hatte.« Er sah aus, als würde er jedem mit so gewandter Selbstsicherheit entgegentreten. »Seid ihr müde von der Reise? Ich möchte mich gern eingehender mit euch unterhalten – ich bin neugierig. Doch heute und in den folgenden Tagen feiern wir das Fest der Dionysien, da ist keine Zeit für ausgiebige Gespräche. Wie lange beabsichtigt ihr zu bleiben?«
Als würde er die Welt beherrschen , dachte sie . Dieses Selbstbewusstsein, diese Haltung . Er gehörte zu jenen Menschen, die bei anderen ihr bestes Benehmen zutage treten ließen. Halo hatte keine Ahnung, was für einen Athener bestes Benehmen war. Sie wünschte sich aber im Moment nichts sehnlicher, als dass er sie mochte.
»Sei gegrüßt«, sagte sie, »ich heiße Halosydnos, und das ist Arko.«
»Wie unhöflich von mir«, sagte er. »Ich heiße Perikles. Würdet ihr bitte hier auf mich warten?«
Natürlich wussten sie, wer er war. Der große Staatsmann, der Weise, der
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