Halo - Tochter der Freiheit
Kette an deinem Handgelenk muss weg. Samis soll dir zeigen, wo du baden und dich ausruhen kannst. Dann gerate ich auch nicht in Versuchung, dich auszufragen … von dieser merkwürdigen Tätowierung will ich lieber gar nichts wissen …« Sie strich mit ihrem Daumen sanft über die seltsame Zeichnung auf Halos Stirn.
Halo traten Tränen in die Augen, so viel Güte lag in dieser Berührung. Arko bemerkte ihren Blick. Was hatten sie doch für ein Glück, dachten beide. Und auch als Perikles zurückkehrte und sie ihm so viel von ihren Erlebnissen erzählten, wie ihnen sicher erschien, war er stets freundlich zu ihnen. Sie waren zum mächtigsten Mann Athens gebracht worden, und er begegnete ihnen mit Herzlichkeit.
Am nächsten Tag wurden sie mit Blättern und Blüten bekränzt, und in Arkos Schweif wurden bunte Bänder geflochten. Bald darauf fanden sie sich in der Mitte des großen Festzugs wieder, der durch die ganze Stadt führte. Vor ihnen gingen sieben prachtvolle weiße Stiere. Um ihre Hälse hingen Blütenkränze und auf ihren ausladenden gelben Hörnern steckten Brotkringel. Selbst diese Tiere starrten Arko unter ihren dichten Augenwimpern an. Einer stupste Halo mit seiner feuchten Samtnase an und leckte sie mit seiner langen, rosa Zunge ab. Sie stieß ein Quieken aus und bekam einen Hustenanfall, als sie es in ein jungenhaft raues Lachen zu verwandeln suchte.
Hinter ihnen fuhr ein Wagen, auf dem ein riesiger Phallus aufgebaut war.
»Was soll das denn bedeuten?«, fragte Arko.
Halo, die bei den Spartanern oft nackte Knaben gesehen hatte, erklärte ihm, dass dies ein Symbol für das männliche Geschlechtsteil der Menschen sei.
»Wirklich?«, fragte Arko. »Und warum zeigen sie es auf einem Festzug?«
»Fruchtbarkeit!«, erklärte ihm Halo. »Damit sie viele Kinder bekommen.«
»Na gut«, murmelte Arko.
Dann ging es weiter zum Theater.
Als sie dort eintrafen, rannte Tiki auf sie zu und rief: »Kommt, ihr sollt neben Aspasia sitzen.«
Sie hatte ihnen gute Plätze auf einer Holzbank frei gehalten. Zum Entzücken aller Umstehenden ließ Arko sich zwischen den Sitzreihen nieder. Dann betraten die Darsteller die Bühne. Sie sangen und tanzten und spielten Flöte und Lyra. In Gruppen kamen Knaben und Männer auf die Bühne und führten Stücke zu Ehren des Dionysos auf. Halo und Arko waren wie verzaubert. Nie hatten sie dergleichen gesehen.
Weniger gefiel ihnen, dass die sieben prachtvollen Stiere dem Dionysos geopfert wurden.
»Wenn ich ein Gott wäre, würde ich meine schönen Tiere nicht für mich töten lassen«, sagte Halo leise zu Arko.
»So sind die Menschen«, erwiderte Arko. »Du musst dich daran gewöhnen, wenn du einer von ihnen sein willst.«
»Anscheinend lebt hier ein Philosoph, der behauptet, die Götter seien von den Menschen erschaffen worden«, sagte Halo. »Weil unsere Götter aussehen wie wir und die Götter in Afrika schwarz sind wie die Menschen dort. Er sagt, der Gott eines Pferdes wäre ein Pferd, und deshalb hätten wir unsere Götter nach unserem Aussehen geschaffen!«
»Woher hast du denn so etwas?«, fragte Arko.
»Ich habe mich beim Frühstück mit Aspasia darüber unterhalten«, erwiderte sie.
»Beim Frühstück! Meine Güte, was für eine Stadt«, brummte Arko.
Das Festessen war entlang der Straßen auf langen Holztischen aufgebaut. Alle Athener nahmen an dem prunkvollen Fest zu Ehren des Dionysos teil. Als Halo und Arko merkten, dass niemand etwas dagegen hatte, schlugen sie zu wie die Scheunendrescher. Mit gehacktem Fleisch gefüllte Weinblätter, Honigkuchen, Käse, Suppen, Gemüse, warmes Brot mit köstlichem Olivenöl, Lamm, Geflügel und Fisch … und von allem gab es reichlich. Halo schlug sich den Magen voll, und bald wölbte sich aus ihrem schmalen Körper ein Bäuchlein. So viel hatte sie nicht mehr gegessen seit … nun, eigentlich noch nie. Sie dachte an den rohen Fisch im Taygetos-Gebirge, an die vielen Tage, an denen sie sich ausschließlich von wilden Feigen und Fenchel hatte ernähren müssen. Und an die schwarze Suppe von Sparta. Habt Dank, ihr guten Götter, alle, für dieses herrliche Essen ...
»Kommt«, sagte Aspasia, »wir müssen nach Hause, bald geht der Komos los.«
»Der Komos – was ist das?«, wollte Halo wissen.
»Ein ausgelassener Umzug, bei dem die jungen Männer zu viel vom köstlichen dionysischen Wein trinken und wie die Verrückten die Stadt unsicher machen. Dann werden die Gesetze auf den Kopf gestellt und Esel zu Königen
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