Halo
sicher komisch gewirkt, wenn ich plötzlich in der Küche aufgetaucht wäre. Vermutlich hätten sie mich rausgeworfen, bevor ich auch nur in die Nähe der verletzten Köchin hätte kommen können. Also blieb ich, wo ich war, und gab mein Bestes. Aber irgendetwas stimmte nicht: Ich konnte meine Energie nicht richtig kanalisieren. Jedes Mal, wenn ich es versuchte, blockierte mich etwas, und ich spürte, wie meine Energie an etwas abprallte, bevor sie die Küche erreichte. Auf halbem Wege schien sie gegen eine unsichtbare Wand zu stoßen. Es war, als ob eine andere Kraft meine eigene abwehrte, so undurchdringlich wie Beton, und meine heilende Energie zurückstieß. Vielleicht war ich nur müde? Ich versuchte es noch einmal mit aller Kraft, stieß aber nur auf noch stärkeren Widerstand.
«Äh, Beth, was machst du denn da? Du siehst aus, als ob du unter Verstopfung leidest», sagte Molly und schreckte mich damit aus meiner Trance auf.
Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen, und schenkte ihr ein gezwungenes Lächeln. «Es ist nur so warm hier drin.»
«Ja, lass uns gehen. Wir können hier sowieso nichts tun», sagte sie, schob ihren Stuhl zurück, stand auf und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
Ich folgte ihr nachdenklich.
Als wir an dem Tisch vorbeikamen, an dem Jake Thorn und seine Freunde saßen, schaute Jake kurz zu mir hoch. Unsere Blicke trafen sich, und für den Bruchteil einer Sekunde versank ich in den Tiefen seiner Augen.
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22 Das «S»-Wort
Am Wochenende kam Molly zum ersten Mal in die Byron Street. Sie hatte schon öfter angedeutet, dass sie mich gerne mal besuchen würde, und schließlich gab ich nach und lud sie ein. Sie brauchte nicht lange, um sich ganz zu Hause zu fühlen. Sofort ließ sie sich auf das gemütliche Sofa fallen und legte die Füße hoch.
«Das ist ja eine tolle Bude», sagte sie. «Du könntest hier großartige Partys feiern.»
«Ich glaube nicht, dass das so bald passieren wird», sagte ich.
Molly überhörte meinen offensichtlichen Mangel an Begeisterung und sprang auf die Füße, um ein Gemälde über dem Kamin näher zu betrachten. Es war ein abstraktes Werk mit einem Kreis in der Mitte auf weißem Hintergrund. Immer größer werdende konzentrische Kreise in Blau wurden zum Rand der Leinwand immer blasser.
«Was soll das denn darstellen?», fragte sie zweifelnd.
Ich betrachtete die tintenblauen Kreise auf leuchtend weißem Untergrund, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen. Der Künstler hatte damit die ultimative Wirklichkeit, die Rolle unseres Schöpfers im Universum, dargestellt. Denn Er war der Ursprung und das Zentrum aller Dinge. Von Ihm aus entfaltete sich das Netz des Lebens, aber alles war gleichzeitig unauflöslich mit Ihm verbunden. Die Kreise stellten das Ausmaß Seiner Herrschaft dar, und die weiße Fläche stand für Raum und Zeit. Seine Macht, Sein Wesen weitete sich bis hin zum Rand des Bildes und über seine Begrenzungen hinweg aus – bis es überall war. Die einzige Wirklichkeit, die niemals verneint werden konnte, war ER .
Natürlich sagte ich Molly nichts von alldem. Es war keine Arroganz, wenn ich glaubte, dass ein Mensch das nicht verstehen würde. Die Menschen fürchteten nun mal das Leben außerhalb ihrer Welt, und obwohl sich einige von ihnen fragten, ob es wohl noch etwas dahinter gab, kamen sie niemals auch nur annähernd auf die richtige Antwort. Die Existenz des Menschen würde enden, und eines Tages würde sogar die Erde aufhören zu sein, aber das Leben würde weitergehen.
Molly verlor schnell das Interesse an dem Gemälde und nahm stattdessen behutsam die Gitarre zur Hand, die an einen Stuhl gelehnt stand.
«Gehört die Gabriel?»
«Ja, und er liebt sie sehr», antwortete ich in der Hoffnung, dass Molly sie gleich wieder zurückstellen würde.
Verstohlen sah ich mich um, ob sich Gabriel oder Ivy irgendwo befanden, aber sie ließen uns taktvoll in Ruhe. Molly hielt das Instrument vorsichtig in den Händen und strich fasziniert mit den Fingern über die straffgespannten Saiten.
«Ich wünschte, ich wäre musikalisch. Ich hatte Klavierstunden, als ich klein war, aber nicht genügend Disziplin, um zu üben. Üben kam mir immer wie harte Arbeit vor. Ich fände es toll, wenn ich mal hören könnte, wie dein Bruder spielt.»
«Wir können ihn ja fragen, wenn er wieder da ist. Wie wär’s mit einem Snack?»
Die Aussicht auf Essen lenkte sie von der Gitarre ab, und ich ging mit ihr in die Küche, wo
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