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Halo

Halo

Titel: Halo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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noch weiter und wischte Oberflächen ab, die schon makellos aussahen. Ihr Streben nach Sauberkeit ließ sie langsam wie besessen wirken, vielleicht war es für sie aber einfach nur ein Weg, sich heimischer zu fühlen. Ich sah mich im Raum nach etwas um, das ich tun konnte. Im Königreich existierte keine Zeit und musste daher auch nicht ausgefüllt werden. Auf der Erde war es sehr wichtig, etwas zu tun zu haben, es gab dem Leben einen Sinn.
    Gabriel musste gespürt haben, dass ich mich unbehaglich fühlte, denn anstatt zu lesen, steckte er den Kopf wieder durch die Tür.
    «Warum machen wir nicht alle einen Spaziergang und betrachten den Sonnenuntergang», schlug er vor.
    «Großartige Idee.» Ich spürte, wie meine Stimmung sich sofort hob. «Kommst du mit, Ivy?»
    «Nicht ohne etwas Wärmeres zum Anziehen», sagte sie. «Am Abend wird es schnell kalt.»
    Ich verdrehte die Augen, weil sie die große Besorgte mimte. Ich war die Einzige von uns, die fror, und hätte mir ohnehin einen Mantel angezogen. Ivy und Gabriel hatten bei früheren Besuchen ihre Körper darauf trainiert, stets die Normaltemperatur zu halten, aber für mich war das noch ein langer Weg.
    «Du wirst die Kälte nicht einmal spüren», widersprach ich ihr.
    «Darum geht es nicht. Aber ohne Jacke könnte man uns ansehen, dass wir nicht frieren. Dadurch würden wir bloß Aufmerksamkeit erregen.»
    «Ivy hat recht», sagte Gabriel. «Wir sollten lieber auf Nummer sicher gehen.» Er verschwand nach oben und kam mit zwei dicken Jacken zurück.
    Weil unser Haus hoch oben auf einem Hügel stand, mussten wir über eine lange, sandige Holzstiege zum Strand hinabsteigen. Die Stufen waren so schmal, dass wir dabei hintereinandergehen mussten. Ich stellte mir die ganze Zeit vor, wie viel angenehmer es wäre, einfach die Flügel auszubreiten und zum Strand herunterzugleiten. Diese Gedanken teilte ich allerdings nicht mit Gabriel oder Ivy, denn mir war klar, dass sie mir dann die Leviten lesen würden. Ich wusste, wie gefährlich es unter den gegebenen Umständen war zu fliegen – ein todsicherer Weg, uns zu verraten. Also kletterten wir die Treppen wie alle Sterblichen hinab, jede einzelne der 107 Stufen, bevor wir den Strand erreichten.
    Ich zog mir die Schuhe aus, um das Gefühl der seidigen Steinchen unter den Füßen zu genießen. Auf der Erde gab es so viel zu erleben. Selbst Sand war etwas Komplexes, er war mehrfarbig, fühlte sich immer wieder anders an und schillerte im Sonnenlicht. Außerdem hatte ich festgestellt, dass der Strand außer dem Sand noch weitere Schätze bereithielt: bunte Muscheln, kleine Glasscherben, die von den Wellen ganz glatt gespült worden waren, ab und zu eine halb eingebuddelte Sandale oder eine vergessene Schaufel und winzige weiße Krebse, die durch erbsenkleine Löcher in den Steinen herein- und herauswuselten. Es war ein Fest für die Sinne, so nah am Meer zu sein – es brüllte wie ein lebendiges Wesen und erfüllte meinen Kopf mit Geräuschen, die erst abnahmen und dann unerwartet wieder anschwollen. Der Klang schmerzte mir in den Ohren, und die beißend salzige Luft kratzte mir in Hals und Nase. Der Wind, der mir ins Gesicht peitschte, brannte mir an den Wangen und rötete sie. Aber ich genoss jede einzelne Minute davon – alles, was mich zu einem menschlichen Wesen machte, brachte neue Erfahrungen mit sich.
    Wir liefen am Ufer entlang, gejagt von der Gischt der aufkommenden Flut. Trotz meiner neuesten Bemühungen, mehr Selbstbeherrschung an den Tag zu legen, konnte ich nicht dem plötzlichen Impuls widerstehen, Ivy mit dem Fuß nass zu spritzen. Ob sie sich darüber ärgern würde? Aber sie schaute nur kurz, ob Gabriel weit genug entfernt war, und rächte sich dann mit einem Tritt in meine Richtung. Eine Wasserfontäne spritzte auf, und die Tropfen glitzerten in der Luft wie Edelsteine. Unser Gelächter zog Gabriels Aufmerksamkeit auf sich, er schüttelte den Kopf und wunderte sich über unseren Übermut. Ivy zwinkerte mir zu und machte ein Zeichen in seine Richtung. Ich verstand, was sie vorhatte, und war mehr als begeistert. Gabriel bemerkte das zusätzliche Gewicht kaum, als ich ihm auf den Rücken sprang und ihm die Arme um den Hals legte. Mein Gewicht machte ihm nichts aus, und er begann, so schnell über den Strand zu laufen, dass mir der Wind in den Ohren pfiff. Auf seinem Rücken fühlte ich mich meinem alten Ich näher. Ich fühlte mich dem Himmel näher, und es war fast, als flöge ich.
    Gabriel hielt abrupt

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