Halo
Anders als ich hielt er nicht mit privaten Informationen hinter dem Berg. Er erzählte Geschichten über Familienmitglieder und gab mir einen kurzen Überblick über seine Familie
«Wir sind sechs Kinder, ich bin der Zweitälteste. Meine Eltern sind beide Ärzte. Meine Mutter ist praktische Ärztin und mein Vater Anästhesist. Claire, meine älteste Schwester, tritt in die Fußstapfen meiner Eltern, sie studiert schon im zweiten Jahr Medizin. Sie wohnt im College, kommt aber jedes Wochenende nach Hause. Sie hat sich gerade mit ihrem Freund Luke verlobt, mit dem sie seit vier Jahren zusammen ist. Dann sind da meine drei jüngeren Schwestern – Nicola ist fünfzehn, Jasmine ist acht, und Madeline wird bald sechs. Der Jüngste ist Michael, der vier ist. Langweilst du dich schon?»
«Nein, es ist spannend. Bitte erzähl weiter», drängte ich. Mich faszinierten die Details über eine normale menschliche Familie, und ich war begierig, mehr zu hören. War ich neidisch auf ihr Leben?, fragte ich mich.
«Ich bin seit der Vorschule auf der Bryce Hamilton, weil meine Mutter unbedingt wollte, dass ich auf eine katholische Schule gehe. Sie ist sehr konservativ, sie ist mit meinem Vater zusammen, seit sie fünfzehn sind. Kannst du dir das vorstellen? Sie sind praktisch zusammen aufgewachsen.»
«Ihre Beziehung muss sehr stark sein.»
«Sie hatten ihre Höhen und Tiefen, aber es gab nichts, mit dem sie nicht zurechtgekommen sind.»
«Klingt nach einer harmonischen Familie.»
«Ja, das sind wir, auch wenn Mom manchmal ein bisschen überbehütend ist.»
Ich konnte mir vorstellen, dass Xaviers Eltern hohe Erwartungen an ihren ältesten Sohn hatten.
«Willst du auch Medizin studieren?»
«Wahrscheinlich.» Er zuckte die Schultern.
«Das klingt nicht wirklich begeistert.»
«Eine Weile wollte ich gern Design studieren, aber ich wurde, sagen wir mal, entmutigt.»
«Warum das denn?»
«Es gilt nicht gerade als ernsthafter Beruf, stimmt’s? Die Vorstellung, so viel Geld in meine Ausbildung zu stecken, nur damit ich am Schluss arbeitslos bin, hat meine Eltern nicht gerade begeistert.»
«Und was ist mit deinen Wünschen?»
«Manchmal wissen es Eltern besser.»
Er schien Entscheidungen, die seine Eltern fällten, bereitwillig anzunehmen, froh, von ihren Erwartungen geleitet zu werden. Sein Leben schien vorgezeichnet, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er vom eingeschlagenen Weg abweichen würde. Was das betraf, konnte ich mich gut in ihn einfühlen, denn mein menschliches Dasein war von strengen Grenzen und Leitlinien bestimmt, und vom Weg abzukommen wurde nicht gern gesehen. Zum Glück für Xavier würden seine Fehler nicht die Wut des Himmels heraufbeschwören. Stattdessen würde man sie als Erfahrung verbuchen.
Nachdem wir etwas getrunken hatten, hatten wir Lust auf etwas Süßes und bestellten Schokoladenkuchen. Serviert wurde uns ein großes Stück Blechkuchen mit einer Füllung aus geschlagener Sahne und Beeren auf einem großen weißen Teller mit zwei langen Löffeln. Obwohl ich gedrängt wurde, «zuzugreifen», löffelte ich nur kleine Stücke vom Rand weg. Als wir fertig waren, bestand Xavier darauf, die Rechnung zu bezahlen, und tat beleidigt, als ich versuchte, mich daran zu beteiligen. Er schob meine Hand weg und warf ein paar Münzen in ein Gefäß für Trinkgeld, auf dem «Gutes Karma» stand, bevor wir gingen.
Erst als wir vor der Tür standen, wurde mir bewusst, wie viel Zeit vergangen war.
«Ich weiß, es ist spät», sagte Xavier, der offenbar meine Gedanken lesen konnte. «Aber wie wäre es noch mit einem kleinen Spaziergang? Ich möchte dich jetzt noch nicht nach Hause bringen.»
«Ich stecke jetzt schon in Schwierigkeiten.»
«Dann kommt es auf die zehn Minuten auch nicht mehr an.»
Ich wusste, dass ich den Abend hier und jetzt beenden musste, Ivy und Gabriel machten sich sicher schon Sorgen um mich. Und das war mir alles andere als egal. Trotzdem schaffte ich es einfach nicht, mich einen Moment früher von Xavier loszureißen als unbedingt notwendig. Wenn ich bei ihm war, wurde ich von einem überschäumenden Glücksgefühl erfüllt, das den Rest der Welt zu reiner Hintergrundmusik verschwinden ließ. Es war, als wären wir beide von einer eigenen Seifenblase umhüllt, die nicht einmal ein Erdbeben zum Platzen bringen konnte.
Ich wollte, dass der Abend niemals endete.
Wir liefen bis zum Ende des Stegs ans Wasser. Von dort aus hatten wir einen guten Blick auf das kleine Volksfest am
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