Halo
hingegen fand ihn süß. Ich hatte den Engel ehrlich gesagt immer etwas unheimlich gefunden. Ich war mir nicht sicher, ob mir das Licht einen Streich spielte oder ob ich es mir nur einbildete, aber als ich die Statue jetzt im Halbdunkel betrachtete, hatte ich das Gefühl, dass sie mir anklagend einen ihrer steinernen Finger entgegenstreckte und ihre Augen in meine Richtung blickten.
Die Illusion hielt nur einen Moment an, doch lange genug, dass ich von der Schaukel sprang und sie mit einem lauten Knall gegen den Baumstamm stieß. Bevor ich den Engel noch genauer untersuchen konnte, um mir selbst zu versichern, dass mit meinem Verstand alles in Ordnung war, öffnete sich die Glastür. Ivy trat auf die Terrasse, bleich wie ein Gespenst. Ihre schneeweiße Haut badete im Mondlicht, wodurch man ihre blaugrünen Äderchen an Armen und Brust noch besser sah.
«Bethany, bist du das?» Ihre Stimme war süß wie Honig und ihr Gesichtsausdruck schmerzhaft vertrauensvoll. Mir schnürte sich der Magen zusammen, und ich fühlte Übelkeit aufkommen. Ivy erblickte mich halb versteckt im Schatten des Baumes. «Was machst du denn da?», fragte sie. «Komm herein.»
Im Haus war alles beruhigend vertraut. Das gelbe Licht der Lampe spiegelte sich im Dielenboden, Phantoms Körbchen stand an seinem üblichen Platz neben dem Sofa, und Ivys sorgfältig zusammengestellte Sammlung klassischer Kunstbücher und Einrichtungsmagazine stapelte sich auf dem niedrigen Couchtisch.
Gabriel sah auf, als ich hereinkam.
«Hattest du einen schönen Abend?», fragte er lächelnd.
Ich versuchte, sein Lächeln zu erwidern, aber meine Gesichtsmuskeln schienen eingefroren zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass mich das Gewicht meiner Tat herunterdrückte wie eine Welle, die über mich hinwegtobte und meinen Kopf unter Wasser presste, bis ich keine Luft mehr bekam.
Wenn ich mit Xavier zusammen war, war es leicht zu vergessen, dass mein Platz in der Welt woanders war, dass ich jemand anderem Treue schuldete. Doch ich bereute es nicht, Xavier die Wahrheit gesagt zu haben, auch wenn ich jede Heimlichkeit hasste, vor allem, wenn sie meine Familie betraf. Ich hatte wahnsinnige Angst vor der Reaktion meiner Geschwister, wenn sie herausfanden, was ich getan hatte. Ob ich ihnen irgendwie begreiflich machen konnte, was mich dazu bewogen hatte? Aber mehr als alles andere fürchtete ich, dass die Mächte des Königreichs unsere Mission beenden oder meine sofortige Rückkehr einfordern würden. In beiden Fällen würde ich von der Erde abberufen werden und damit von dem Menschen getrennt, der mir am meisten bedeutete.
Gabriel musste bemerkt haben, dass ich Xaviers Sweatshirt trug, aber er enthielt sich jeglichen Kommentars. Auch wenn ein Teil von mir am liebsten auf der Stelle alles gebeichtet hätte, zwang ich mich selbst, ruhig zu bleiben. Ich entschuldigte mich für mein spätes Nachhausekommen, sagte, dass ich müde sei und ins Bett gehen wolle. Den Kakao und die Kekse, die Ivy am Nachmittag gebacken hatte, lehnte ich ab.
Als ich am Fuß der Treppe angekommen war, rief mich Gabriel zurück, und ich wartete, als er mit langen Schritten auf mich zukam. Mein Herz raste in meiner Brust. Er war erschreckend aufmerksam, und ich war sicher, dass er bemerkt hatte, dass ich nicht ich selbst war. Ich war darauf gefasst, dass er mein Gesicht studieren, unangenehme Fragen stellen oder mir Vorwürfe machen würde, aber er legte lediglich seine Hand an meine Wange, sodass ich das kühle Metall seiner Ringe spürte, und küsste mich sanft auf die Stirn. Sein makelloses Gesicht wirkte heute Nacht sehr zufrieden. Sein blondes Haar hatte sich aus dem Band gelöst, mit dem er es manchmal zusammenhielt, die regenfarbenen Augen hatten etwas von ihrer Strenge verloren, und er sah mich mit brüderlicher Zuneigung an.
«Ich bin stolz auf dich, Bethany», sagte er. «Du hast in der kurzen Zeit große Fortschritte gemacht und gelernt, bessere Entscheidungen zu treffen. Nimm Phantom mit zu dir nach oben – er hat dich vermisst.»
Ich musste meine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht loszuheulen.
Als ich oben neben Phantoms warmem Körper im Bett lag, ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ich hätte schwören können, dass meine Lügen wie kleine Schlangen in mir herumkrochen, sich um mich herumwanden und mich einschnürten. Ich spürte, wie sie mir die Luft aus den Lungen saugten und sich um mein Herz drängten. Abgesehen von der tobenden Schuld, die wie Gift durch meinen Körper
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