Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
Infusionsgalgen am Kopfende seines Betts hingen diverse Beutel. Maschinen umgaben ihn, die summten und surrten und saugten. Ein Monitor zeigte eine gezackte Wellenlinie und klickte in einem konstanten Rhythmus.
Offensichtlich hatte Ryan gehört, wie ich scharf die Luft einzog. Wieder nahm er meine Hand.
Ich spürte, dass meine Knie nachgaben. Ryan umfasste meine Taille.
Ich drückte die Hand ans Glas, schloss die Augen und erinnerte mich an ein lange vergessenes Kindergebet.
Trotz der Krankenhausvorschriften wählte ich die Nummer von Katys Handy. Hörte nur ihre Ansage. Was für eine Nachricht sollte ich ihr hinterlassen? »Katy, Mom hier. Bitte rufe mich an, sobald du kannst. Es ist sehr wichtig.«
Weggehen oder bleiben? Die Schwester versicherte mir, dass Pete die ganze Nacht über nichts sehen und nichts hören würde. »Ruhen Sie sich ein wenig aus. Ich rufe Sie an, wenn sich irgendetwas verändert.«
Ich nahm ihren Rat an.
Als wir an diesem Abend im Bett lagen, sprach Ryan die Fragen aus, die ich mir selbst schon gestellt hatte.
»Glaubst du, dass Pete wirklich das Ziel war?«
»Ich weiß es nicht.«
»Die Kugel hätte auch für dich bestimmt sein können.«
Ich sagte nichts. Ich dachte mir, der Schütze war sicher nahe genug dran gewesen, um einen Mann von einer Frau unterscheiden zu können, aber vielleicht hatte er ja nur auf eine Silhouette gezielt.
»In dieser Ambulanz war keiner begeistert, uns zu sehen.« Ryan spann seinen Gedanken weiter. »Falls du da wirklich an etwas dran bist, könnten die Leute schon unangenehm werden.«
»Die IOP-Polizisten waren nicht sehr beeindruckt. Wir sind in Amerika. Es ist Memorial Day. Die Leute ballern durch die Gegend.«
»Wie heißt dieser Bauunternehmer?«
»Dickie Dupree.« Ryan formulierte die Gedanken, die mir auch schon durch den Kopf geschossen waren. »Ein fremdes Auto taucht auf. Jemand wirft mit einer Bierflasche nach dir. Zu einer Zeit, als du Duprees Bauplatz umgräbst.«
»Es könnte doch sein, dass die Flasche mit dem Schuss überhaupt nichts zu tun hat.«
»Dupree hat dir gedroht.«
»Dupree könnte ein Flaschenwerfer sein, aber er ist keiner, der schießt oder einen Schützen anheuert. Das ist eine Nummer zu groß für ihn. Außerdem hatte ich den Bericht an die staatliche Behörde bereits übermittelt. Was bringt es ihm, wenn er jemanden auf mich schießen lässt? Alles passierte, nachdem wir Willie Helms’ Knochen auf Dewees gefunden hatten. Vielleicht ist Helms der Auslöser.«
»Vielleicht ist es Montague?«
»Vielleicht ist es diese Ambulanz?« Ich schnellte hoch. »O mein Gott. Ich war so besorgt wegen Pete, dass ich es völlig vergessen habe.«
Ich warf die Decke zurück und rannte mit Boyd an den Fersen nach unten.
Der Inhalt von Cruikshanks zweitem Umschlag lag im Wohnzimmer verstreut. Ich schnappte mir die Papiere und das Buch und eilte wieder nach oben, Boyd wieder dicht hinter mir.
»Hast du je etwas von William Burke und William Hare gehört?«, fragte ich, als ich wieder unter die Decke geschlüpft war.
Ryan schüttelte den Kopf.
»Burke und Hare waren verantwortlich für sechzehn Morde innerhalb einer Zeitspanne von weniger als einem halben Jahr.«
»Wann und wo?«
»Edinburgh. Achtzehnhundertsiebenundzwanzig. Zu dieser Zeit durfte man nach dem britischen Gesetz nur die Leichen von hingerichteten Verbrechern für Sezierungen verwenden. Die Nachfrage übertraf bei weitem das Angebot an frischen Leichen, die man brauchte, um Anatomie und Chirurgie unterrichten zu können, und so kam Grabraub in Mode.«
»Man muss diese Schotten bewundern. Sehr unternehmerisch. Sogar die kriminellen Kreise.«
»Da muss ich dich enttäuschen, Ryan. Burke und Hare waren Iren, die nach Schottland kamen, um beim Bau des Union Canal zu arbeiten. Die beiden kamen in einem Gästehaus unter, das von einer gewissen Maggie Laird geführt wurde. Helen MacDougal wohnte ebenfalls dort, und die vier wurden Saufkumpane.
Achtzehnhundertsiebenundzwanzig erkrankte einer von Lairds Gästen und starb, wobei er einiges an Mietschulden hinterließ. Am Tag des Begräbnisses raubten Burke und Hare den Sarg und verkauften die Leiche des Mannes an Robert Knox, einen Anatomieprofessor an der Edinburgh Medical School.«
»Für wie viel?«
»Zehn Pfund, sieben Shilling. Damals eine Menge Geld. Das dynamische Duo erkannte natürlich sofort, dass hier ein stetiger Strom schnellen Geldes winkte, und entschied sich für einen Einstieg ins
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