Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
die Arme um die Schultern gelegt hatte. Der Besitzer des Fotos war der Letzte auf der linken Seite.
Ich betrachtete die kleine Gestalt. Cruikshanks Haare waren kurz, und er kniff die Augen zusammen, wahrscheinlich, weil er in die Sonne schaute. Die Falten in seinem Gesicht waren noch weicher, kündigten aber bereits den älteren Mann an, zu dem er später geworden war.
Wieder ließ ich die Gedanken schweifen.
War Cruikshank bei der Armee gewesen? Oder bei der Nationalgarde? Für Vietnam war er zu jung gewesen. Wo hatte er gedient?
Das zweite, gerahmte Foto zeigte dunkel uniformierte Männer in formellen, sehr geraden Reihen. Ich nahm an, es war ein Foto von Cruikshanks Abschlussklasse auf der Polizeiakademie.
Eine runde Metalldose enthielt weitere Erinnerungsstücke an den Polizeidienst. Kragenabzeichen von den unterschiedlichen Einheiten, bei denen Cruikshank gedient hatte. Farbige Streifen, von denen ich annahm, dass es Auszeichnungen waren. Eine Kopie des Polizeiwappens.
Ein Aktendeckel aus brauner Wellpappe enthielt sein Diplom der Polizeiakademie, diverse Zertifikate von Spezialausbildungen und noch mehr Fotos. Cruikshank beim Händeschütteln mit irgendeinem hohen Polizeibeamten. Cruikshank mit drei Männern in Anzügen. Cruikshank und ein zweiter Polizist, wie sie mit Billy Graham vor einer Kirche standen.
Ich fischte noch mehr aus den Tiefen des Kartons. Ein Zippo-Feuerzeug mit dem Logo des Charlotte-Mecklenburg Police Department. Eine CMPD-Polizeimarke. Handschellen. Schlüssel. Einen Rüschenstraps. Eine alte Sam-Browne-Gürtelschnalle. Ein abgenutztes Schulterhalfter. Einen Schnelllader für einen Revolver.
Alles kam auf den Tisch.
Ganz unten im Karton lagen ein Buch und mehrere Umschläge. Ich nahm einen großen braunen zur Hand, wickelte die Schnur ab und ließ mir den Inhalt in den Schoß gleiten.
Schnappschüsse. Grobkörnig und an den Rändern bereits zu Sepia verblassend. Ich nahm sie in die Hand und blätterte sie durch.
Auf jedem Foto war dieselbe blonde Frau zu sehen. Stupsnäschen, Sommersprossen, das Bild eines Mädchens vom Lande.
Auf manchen Bildern war die Frau allein abgelichtet, auf anderen zusammen mit Cruikshank. Auf einigen waren sie Teil einer größeren Gruppe. Weihnachtsfeier. Skiausflug. Picknick. Nach Frisuren und Kleidung zu urteilen, stammten die Aufnahmen aus den späten Siebzigern oder frühen Achtzigern.
Ich drehte jedes Foto um. Nur eine Rückseite war beschriftet. Vorne waren Cruikshank und die Frau in Badehose und Bikini zu sehen, wie sie nebeneinander auf einer Decke lagen, das Kinn auf die Fäuste gestützt. Die Beschriftung lautete: Noble und Shannon, Myrtle Beach, Juli 1976.
Ich nahm das letzte Foto zur Hand. Noble und Shannon, lächelnd, als würde die Welt ewig jung bleiben. Ich lächelte nicht. Meine Gedanken wanderten zu einem sehr düsteren Ort.
Cruikshank und Shannon hielten sich an den Händen und schauten einander an. Sie trug ein kurzes, weißes Sommerkleid und hatte Blumen in den Haaren. Er trug ein hellblaues Sakko. Ein Spruchband über ihren Köpfen bezeichnete den Ort: Viva Las Vegas Wedding Chapel . Eine Hochzeit in Las Vegas. Vor ihnen kniete ein grinsender Elvis-Imitator mit dunkler Sonnenbrille und paillettenbesetzem, weißem Satinoverall.
Ich starrte das Bild an, die Momentaufnahme der Entstehung einer zum Scheitern verurteilten Ehe. Einst ein hoch geschätztes Andenken, war das Bild schon bald nicht mehr gewesen als eine blasse Erinnerung, die man in einem alten, braunen Umschlag versteckte.
Mein Blick wanderte zu Pete. Meine Augen brannten. Ich riss den Blick zurück. Er fiel auf Cruikshanks Hinterlassenschaften. Kleiner Trost.
Diese Gegenstände repräsentierten ein Leben, einen Mann, der Freundschaft genossen und seinem Land gedient hatte, der Polizist gewesen war, Baseball gespielt und geheiratet hatte. Ein Mann, der dennoch beschlossen hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Oder etwa nicht?
Mein Blick fiel noch einmal auf das Foto vom Myrtle Beach. Shannon und Noble. Eine verunglückte Ehe. Ein verunglücktes Leben.
Im Fernsehen fragte jemand Hope, ob er meine, dass Goddard das Schloss verkaufen solle.
»Ich würde ihr raten, behalt das Haus und verkauf die Geister.«
Petes Lachen durchdrang den Panzer meiner gespielten Nonchalance. Wie oft hatten wir miteinander gelacht? Wie oft hatte er mich zum Lachen gebracht? Mir Blumen gekauft, obwohl wir kein Geld hatten? Vor mir in Unterhose getanzt, wenn ich wütend war? Warum
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