Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
Leidenschaft du dich in deiner Arbeit engagierst. Ansonsten habe ich die meiste Zeit keine Ahnung, was du wirklich empfindest. Ich weiß nicht, was dich glücklich, traurig, wütend oder hoffnungsvoll macht.«
»Ich bin ein Fan der Cubs.«
»Siehst du, was ich meine?« Ryan lehnte sich zurück, drückte die Zigarette aus und leerte seinen Krug.
Enge Bänder pressten mir die Brust zusammen. Zorn? Verärgerung?
Angst vor Nähe?
Ich trank einen Schluck von meinem Coke. Zwischen uns brüllte das Schweigen.
Die Kellnerin schaute in unsere Richtung, war aber so klug, uns nicht zu unterbrechen. Das Paar neben uns zahlte und ging. Auf der Church Street trottete noch ein Pferd vorbei. Vielleicht war es aber auch derselbe Klepper, hinter dem ich hergefahren war. Meine Gedanken schweiften ab.
Machte es dem Pferd etwas aus, immer wieder dieselbe hirnlose Route zu laufen? Erfüllte es Tag für Tag nur brav seine Pflicht, weil es Angst vor der Peitsche hatte? Brachte es seine Zeit damit zu, Pferdeträume zu träumen, oder kannte es nur die Welt zwischen den Scheuklappen?
Hatte Ryan Recht? Mauerte ich mich ein? Hatte ich emotionale Scheuklappen auf? War ich wirklich völlig aufrichtig ihm gegenüber? Und mir selbst?
»Was willst du eigentlich?« Mein Mund war trocken, die Kehle eng.
»Lutetia hat sich sehr für dich interessiert. Aber auf die meisten ihrer Fragen hatte ich keine Antwort. Das überraschte sie. Ich sagte ihr, die Sachen, nach denen sie fragte, seien nicht wichtig. Sie meinte, das könne ja stimmen, aber wissen sollte ich sie trotzdem.
Wenn man allein im Auto sitzt, hat man viel Zeit zum Nachdenken. Auf der langen Fahrt wurde mir klar, dass Lutetia Recht hat. Es gibt zwischen uns Bereiche der Nichtkommunikation, Tempe. Unsere Beziehung hat Grenzen.«
Beziehung? Grenzen? Ich konnte nicht glauben, dass ich das alles von Andrew Ryan hörte. Der schlimme Finger. Der Platzhirsch. Der Don Juan des Montrealer Morddezernats.
»Ich verschweige dir nicht absichtlich Dinge«, murmelte ich.
»Es geht nicht darum, was ein Mensch erzählt, sondern dass er erzählt. Ob mit Absicht oder nicht, du schließt mich oft aus.«
»Das tue ich nicht.«
»Warum nennst du mich Ryan?«
»Was?« Die Frage traf mich völlig unvorbereitet. »Das ist doch dein Name.«
»Mein Familienname. Andere Polizisten nennen mich Ryan. Die Jungs in meinem Sportverein. Wir zwei sind so intim miteinander, wie Menschen es nur sein können.«
»Du nennst mich Brennan.«
»Nur, wenn wir miteinander arbeiten.«
Ich schaute auf meine Hände. Ryan hatte Recht. Ich wusste nicht, warum ich das tat. Um eine gewisse Distanz zu wahren?
»Was willst du?«, fragte ich.
»Wir könnten anfangen, miteinander zu reden, Tempe. Ich brauch nicht gleich einen ganzen Schwall. Erzähl mir einfach Sachen. Fang an mit deiner Familie, Freunden, deiner ersten Liebe, deinen Hoffnungen und Ängsten.« Ryan warf eine Hand in die Luft, »… eine Ansichten über Bewusstsein und anomalen Monismus.«
Ich ignorierte seinen Humorversuch.
»Du hast Katy kennen gelernt. Anne. Meinen Neffen Kit.«
Harry.
Am Anfang, als Ryan Annäherungsversuche machte und ich sie stur abblockte, kam meine Schwester auf der Suche nach dem Nirwana nach Montreal. Sie wurde von einer Sekte entführt, und Ryan und ich mussten sie retten. Eines Abends waren die beiden plötzlich verschwunden, und ich vermute, sie vollzogen damals den biblischen Akt. Weder Ryan noch Harry haben je ein Wort darüber verloren.
»Und Harry.«
»Wie geht’s Harry?« Ryans Stimme klang einen Bruchteil weniger angespannt.
»Lebt in Houston mit einem Cembalobauer zusammen.«
»Ist sie glücklich?«
»Sie ist Harry.«
»Erzähl mir was von deinen Eltern.« Wie ein Talkmaster, der seinem Gast ein Stichwort gibt.
»Michael Terrence Brennan, Prozessanwalt, Connaisseur und Quartalssäufer. Katherine Daessee Lee, Gott und der Welt nur als Daisy bekannt.«
»Daher dein unaussprechlicher zweiter Vorname.«
»Wie Daisy, mit einem stimmhaften ›s‹. Michael ist ein Ire aus Chicago, Daisy kommt aus einer alten Charlotter Familie. Sie waren bereits auf dem College ein Paar und heirateten in den Fünfzigern. Michael bekommt einen Job bei einer großen Chicagoer Anwaltskanzlei, und das glückliche Paar lässt sich in Beverly, einem irischen Viertel im Süden von Chicago, nieder. Daisy tritt diversen Wohltätigkeitsorganisationen bei und den Freunden des Zoos. Temperance Daessee, ihre erstgeborene Tochter, setzte Mrs.
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