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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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meinen täglichen Bericht abzuliefern. Also wollte ich ihm morgen früh gleich als erstes von Ihnen erzählen!«
    »Aha.« Richter Di lehnte sich in seinen Stuhl zurück und strich sich langsam über den Backenbart. Nach einer Weile sagte er:
    »Ich muß Sie bitten, Sju, mich mit keinem Wort bei Ihrem Oberst zu erwähnen. Ich würde mich freuen, ihn irgendwann kennenzulernen, aber nicht gerade jetzt. Vielleicht könnten Sie ihn bitten, einen Besuch im Wasserpalast für mich zu arrangieren, bevor ich wieder abreise. In welchem Teil lebt die berühmte Dritte Prinzessin übrigens?«
    »Im nordöstlichen Bereich der Palastanlage. Im abgeschiedensten und am strengsten bewachten Teil. Um dorthin zu gelangen, muß man die Residenz und die Büros des Obereunuchen durchqueren. Ein fähiger Bursche, habe ich gehört. Muß er wohl auch sein, denn Sie wissen ja, wie es ist in solchen purpurnen Palastwänden. Ein Ort voller Intrigen.«
    »Es heißt doch immer, die Dritte Prinzessin sei eine außergewöhnlich intelligente und tüchtige Frau. Könnte sie nicht all diesem hinterlistigen Gezänk ein Ende bereiten?«
    »Das könnte sie bestimmt, vorausgesetzt sie wüßte, was vor sich geht! Für eine Prinzessin ist es am allerschwierigsten, in Erfahrung zu bringen, was sich unter den Hunderten von Personen in ihrem eigenen Palast so zuträgt. Auf allen Seiten ist sie von Hofdamen, Gesellschafterinnen, Kammerzofen und dergleichen umgeben, und jede einzelne von ihnen verdreht die kleinste Neuigkeit, wie es ihr gefällt. Gott sei Dank kann ich meine Arbeit außerhalb jener Wände verrichten!« Er schüttelte den Kopf und fragte dann munter: »Was soll ich wegen Lang Liu unternehmen, Richter? Und wegen jener vier Leichen in seinem Lagerhaus?«
    »Was Lang betrifft, überhaupt nichts. Den werde ich mir persönlich vorknöpfen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Die Toten lassen Sie von einigen Ihrer Männer, denen Sie vertrauen, ins Leichenhaus bringen. Sie können ja sagen, es handle sich um Straßenräuber, die von einer Patrouille getötet wurden, als sie einen Reisenden überfielen. Ach, da wir gerade über Räuber sprechen, ich habe ein paar interessante Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Mord am Kassierer erfahren. Der junge Bursche war in die Frau des Wirts verliebt, und es spricht viel dafür, daß sie zum Dorf der zehn hügeligen Meilen gegangen ist, in den Ort also, den Tai Min auf seiner Karte rot markiert hat. Anscheinend wollte Tai Min sich ihr dort anschließen. Doch dann wurde er unterwegs überfallen und umgebracht.«
    »Das ist sehr interessant«, sagte der Hauptmann langsam. »Wenn Frau Wei einen Liebhaber hatte, könnte sie auch noch einen weiteren haben. Und Eifersucht ist oft ein starkes Motiv für Mord. Na, es trifft sich gut, daß zwei meiner Agenten noch heute abend in jenes Gebiet aufbrechen. Ich werde anordnen, daß sie Erkundigungen über Frau Wei einziehen. Möglicherweise ist sie noch in diesem Dorf und vielleicht sogar mit Tais Mörder zusammen! Danke Ihnen vielmals, Richter!«
    Als Richter Di sich erhob, fügte der Hauptmann hinzu:
    »Dieser Überfall auf Sie hat mich schockiert. Soll ich Ihnen nicht zwei oder drei meiner zivilen Agenten zuteilen, für Ihren Schutz?«
    »Nein, vielen Dank, sie wären mir nur im Weg. Auf Wiedersehen, Sju, ich werde Sie es wissen lassen, wenn ich Neuigkeiten habe.«
    Der niedergeschlagene Hauptmann geleitete ihn persönlich die Treppe hinunter.
    Nur wenige Leute waren auf der Hauptstraße noch unterwegs, denn es ging auf Mitternacht zu. Richter Di band die Zügel seines Pferdes an den Pfeiler neben dem Eingang zum >Eisvogel< und ging hinein. Niemand befand sich in der Halle, aber durch den Lattenschirm konnte er den Rücken von Herrn Wei erkennen. Der Herbergswirt beugte sich über eine große lederne Kiste auf dem Fußboden. Der Richter ging um den Empfangstisch herum und klopfte mit seinen Fingerknöcheln an den Schirm.
    Der Wirt richtete sich auf und drehte sich um. »Was kann ich für Sie tun, Doktor?« fragte er mit seiner schläfrigen Stimme.
    »Sagen Sie einem Knecht, er soll mein Pferd in den Stall bringen, Herr Wei. Ich war bei einem Patienten. Bei meinem anschließenden Spazierritt im Wald muß ich mich dann verirrt haben.«
    Wei murmelte noch etwas von später Stunde und schlurfte zur rückwärtigen Tür des Büros. Richter Di wurde plötzlich bewußt, daß er hundemüde war. Er setzte sich in den Armstuhl neben dem Schreibtisch und streckte seine steifen Beine aus.

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