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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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Obereunuch nicht, Einwendungen zu machen. Der Meister muß erkannt haben, daß die Prinzessin in Schwierigkeiten ist, denn gestern schoß er einen Pfeil ohne Spitze auf den Balkon ihres Boudoirs an der Ostseite. Er ist nämlich ein erstaunlicher Bogenschütze.«
    »Ich bin ihm begegnet«, sagte der Richter. »Er ist ausgezeichnet, sogar mit dem Schwert.«
    »Natürlich. Er pflegte die junge Prinzessin im Schwertkampf zu unterrichten, denn trotz seines lahmen Beines ist er ein unglaublicher Fechter. Er saß gewöhnlich auf einem Stuhl, ein Schwert in jeder Hand, und drei erfahrene Schwertkämpfer waren nicht in der Lage, auch nur in seine Nähe zu kommen! Also, er befestigte einen Brief an dem Pfeil, in dem er der Prinzessin Ihre Ankunft und Ihren Decknamen mitteilte, und auch, wo Sie wohnten. Er riet ihr, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen. Die Prinzessin ließ mich sofort kommen und sagte, sie wolle Sie mit der Wiederbeschaffung der Halskette beauftragen. Hierauf schickte ich meine Tochter zu Ihnen, denn außer ihr kann ich niemandem trauen.«
    »Aha. Ich habe den Dieb aufgespürt -es war ein junger Kerl, der von Verbrechern angeheuert worden war, die wiederum im Auftrag übler Verschwörer hier im Palast arbeiteten. Der junge Bursche versuchte, sich davonzumachen, ohne den Verbrechern die Halskette auszuhändigen, und sie töteten ihn, bevor er ihnen das Versteck verraten hatte. Es ist mir noch nicht gelungen, die Perlen zu finden.« Ein kalter Windhauch blies vom Wasser herüber und jagte ihm einen Schauer über den nackten, schweißbedeckten Oberkörper. Es fröstelte ihn. »Haben Sie etwas, womit ich mich bedecken kann?«
    Nach einer Weile wurde der Zipfel eines brokatenen Damengewandes durch das Gitter gesteckt. »Die verachtenswerten Schurken haben mir nicht einmal eine Decke gegeben, auf die ich mich legen könnte«, flüsterte sie. Der Richter zog das voluminöse Gewand durch die Gitterstäbe und wickelte sich darin ein. Dann ließ er sich mit gekreuzten Beinen auf dem Fenstersims nieder und fuhr fort:
    »Die Prinzessin gab mir zu verstehen, daß mit dem Diebstahl eine Entzweiung zwischen ihr und dem Kaiser bewirkt werden sollte. Seine Kaiserliche... ich meine... nun, gestatten Sie mir, unter diesen besonderen Umständen auf alle Ehrentitel zu verzichten. Jedenfalls haben Ihre Feinde in eben dieser Nacht einen grauenhaften Mord verübt, weil sie glaubten, dadurch vielleicht in den Besitz der Halskette zu gelangen. Warum sind sie so versessen darauf, sie zu bekommen? Sie wollten, daß sie verschwindet, nicht wahr? Außerdem fällt es mir schwer zu glauben, daß der Verlust der Halskette einen Bruch in der Beziehung zwischen Vater und Tochter hervorrufen sollte. Aber Sie können das natürlich besser beurteilen.«
    Er hielt inne in der Hoffnung auf eine Antwort. Als die Gefangene schwieg, fuhr Richter Di fort: »Die Prinzessin betonte nachdrücklich, daß der Diebstahl von jemandem außerhalb des Palastes begangen wurde. Das weckte bei mir den Eindruck, sie befürchte, der Plan ihrer Feinde könnte darin bestehen, daß die Halskette im Besitz einer der Prinzessin nahestehenden Person entdeckt würde, die durch die falsche Beschuldigung des Diebstahls eines kaiserlichen Schatzes zugrunde gerichtet werden sollte. Da die Prinzessin selbst sich geweigert hat, mir Einzelheiten über jene Person mitzuteilen, will ich Sie nicht bitten, mir zu sagen, um wen es sich handelt. Es würde mir jedoch helfen, wenn Sie mir wenigstens einen Hinweis geben könnten oder...« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
    Es entstand ein langes Schweigen. Der Richter kuschelte sich in das schwere Gewand, dessen feiner Duft in merkwürdigem Gegensatz zu dem widerlichen Geruch stand, der aus dem dunklen, feuchten Verlies heraufdrang. Endlich begann die Dame Hortensie zu sprechen.
    »Die Prinzessin befindet sich in einem Zustand schrecklicher Verwirrung. Sie steht gefährlich nahe vor einem völligen Zusammenbruch. Sie konnte Ihnen unmöglich mehr erzählen als das, was sie Ihnen gesagt hat. Aber ich kann und ich will es. Sie wissen, daß der Kaiser erklärt hat, er werde jeden Ehemann akzeptieren, den die Prinzessin selbst ausgewählt habe. Natürlich begannen drei oder vier konkurrierende Cliquen in der Hauptstadt sofort, alles daran zu setzen, die Prinzessin zur Wahl eines ihrer Kandidaten zu veranlassen. Denn der Mann der kaiserlichen Lieblingstochter wird eine Macht sein, mit der man am Hofe zu rechnen hat, und könnte die Interessen der Clique,

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