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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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dem Wasser hoch und trat auf den Sims. Den Rücken und die gespreizten Handflächen dicht gegen die schräge Wand gepreßt, schob er sich seitwärts und um die Ecke des Turms herum. Nun lag der Fluß vor ihm, eine glitzernde Fläche pechschwarzen Wassers.
    Vorsichtig tastete er sich weiter an der nördlichen Mauer entlang. Bei jedem Schritt prüfte er den schlammigen Vorsprung mit der Spitze seines durchnäßten Stiefels. Bald ließ ihn der träge schwarze Strom direkt vor ihm schwindlig werden; er hatte das Gefühl, daß er und der ganze Palast flußaufwärts segelten. Beherzt schloß er die Augen und bahnte sich weiter seinen Weg. Ihm wurde klar, daß diese Art der Fortbewegung für einen leichten, ziemlich kleinen jungen Burschen wie Tai Min vergleichsweise einfach war, während seine eigene Größe und sein Gewicht ihn deutlich benachteiligten. Bei jedem zweiten Schritt sank einer seiner Füße tief in den Morast ein, und er mußte auch damit rechnen, daß Teile des Vorsprungs abgebröckelt waren. An einer Stelle, wo sich weniger Schlamm angesammelt hatte, drehte er sich herum, so daß sein Gesicht zur Mauer zeigte. Nun öffnete er die Augen wieder. Diese Haltung hatte den zusätzlichen Vorteil, daß er Rillen zwischen den verwitterten Steinen ausmachen und einen Halt für seine Fingerspitzen finden konnte.
    Er war erleichtert, als er mit der linken Hand die hervortretenden Steinblöcke fühlte, die den Bogen des ersten Wassertores markierten. Er steckte die Hand hinein und bekam eine Stange zu fassen, die zu dem Eisengitter gehörte, das ungefähr einen Fuß tief in die Wand eingelassen war. Nachdem er sich unter den Bogen geschwungen hatte, ergriff er eine der oberen Querverstrebungen und schlang die müden Beine um eine der unteren, so daß seine Füße auf der Innenseite des Gitters knapp über dem Wasser hingen. Es war zwar keine bequeme, aber dafür eine sehr sichere Position, denn der obere Teil des Bogens schützte ihn wirkungsvoll vor beobachtenden Augen auf den Zinnen darüber. Er dachte besorgt an die Anzahl der Wassertore, die er noch passieren mußte. Am Morgen hatte er acht gezählt. Nun, Tai Min war es gelungen, und er folgte genau dem Weg des Kassierers. Der einzige Unterschied bestand darin, daß der Kassierer vorgehabt hatte, eine Halskette zu stehlen, während er eine Audienz zu erlisten beabsichtigte. Es war die einzige Möglichkeit, mit der Prinzessin zu sprechen, ohne gegen ihren Befehl der äußersten Verschwiegenheit zu verstoßen. Gleichzeitig würde ihm der Weg, dem Tai Min gefolgt war, vielleicht einen Hinweis darauf liefern, wo er die Halskette verborgen hatte.
    Nachdem sich der Richter eine Weile ausgeruht hatte, begab er sich zur linken Seite des Bogens hinüber und setzte seinen Weg auf dem Sims fort, die rechte Wange dicht an der rauhen Oberfläche der Mauer, während seine Stiefel durch den Schlamm stapften.
    Allmählich gewöhnte er sich an diese seltsame, krabbenartige Fortbewegung, und vor den Pfeilen fühlte er sich ziemlich sicher, denn er hatte bemerkt, daß die Zinnen etwa einen Fuß überstanden. Wenn ein Soldat sich nicht weit herauslehnte und nach unten spähte, würde er den flach an die Mauer gepreßten Eindringling nicht sehen können. Dennoch war er froh, als seine linke Hand, auf der Suche nach einem Halt zwischen den Steinen, die hervortretenden Quader eines Bogens ertasteten. Er war viel niedriger als der vorige. Als er sich bückte, um in die vergitterte Nische zu sehen, rang er erschrocken nach Luft und verlor beinahe sein empfindliches Gleichgewicht. Eine dünne weiße Hand umklammerte von innen die unterste Querstrebe.

Sechzehntes Kapitel
     
     
    Mit verzweifelter Anstrengung gelang es Richter Di, das Gleichgewicht zu halten. Ein zweiter Blick zeigte, daß das schlanke Handgelenk von einem weißen Jadearmband in der Form eines sich windenden Drachens umgeben war. Es fuhr ihm plötzlich durch den Sinn, daß dies kein Wassertor, sondern das Bogenfenster eines Verlieses war. Vor dem schweren Eisengitter befand sich, etwa einen Zoll über dem Wasser, ein drei Fuß breiter Sims aus grauen Steinplatten. Als er sich daraufschwang und sich niederkauerte, vernahm er einen unterdrückten Schrei aus dem pechschwarzen Innern, und die weiße Hand verschwand.
    »Ich bin es, Doktor Liang.«
    Nun umklammerten zwei dünne Hände den untersten Eisenstab. Darunter sah er undeutlich das weiße Oval eines Gesichts. Offensichtlich befand sich das vergitterte Fenster dicht an der

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