Halskette und Kalebasse
auf der anderen Seite die massige Gestalt des nordwestlichen Wachturms. Seine linke Ecke erhob sich aus dem Fluß, sehr schwarz unter dem bedeckten Himmel.
Der Fußweg machte eine Biegung nach rechts und verlief dann, am westlichen Graben des Wasserpalastes entlang, direkt nach Süden. Der Richter ließ sich auf die Knie hinab und kroch durch die Reihe niedriger Bäume und Sträucher, die ihn vom Graben trennten. Als er unmittelbar am Rand des Wassers kauerte, entdeckte er mit Schrecken, daß der Graben viel breiter war, als es am Morgen vom Fluß aus den Anschein gehabt hatte. Er hatte ihn auf ungefähr fünfzehn Fuß geschätzt, aber in Wirklichkeit waren es eher dreißig oder vierzig. Das stille, dunkle Wasser sah ausgesprochen wenig einladend aus, und unter seiner undurchdringlichen Oberfläche vermochte er keine Spur der Schleusentür zu erkennen. Bisher jedoch waren Haos Instruktionen, die der rundschädelige Buchhalter heruntergerasselt hatte, richtig gewesen.
Er nahm einen dünnen, trockenen Zweig vom Unterholz, beugte sich nach vorn und erkundete das Wasser. Ja, da gab es tatsächlich einen breiten Balken, etwa drei Fuß unter der Oberfläche. Plötzlich ertönte Befehlsgeschrei von den Zinnen des Wachturms, gefolgt vom Klirren eisenbeschlagener Stiefel auf Stein, sehr laut in der stillen Nacht. Der Richter duckte sich rasch unter die Zweige. Die Wache wurde abgelöst, was bedeutete, daß es genau Mitternacht sein mußte.
Er kroch wieder zur Böschung zurück und versuchte angestrengt zu erkennen, ob sich am Fuße der Mauer tatsächlich ein Sims befand. Er vermochte aber nur einen schmalen, stoppeligen Streifen Unkraut unmittelbar über der Wasserlinie wahrzunehmen. Mit einem tiefen Seufzer beschloß er, daß er das selbst würde herausfinden müssen.
Nachdem er auf allen vieren den Weg wieder erreicht hatte, löste er die lange schwarze Schärpe, die er um die Brust geschlungen trug, und zerteilte sie auf der Schwertschneide in zwei Hälften. Er stopfte sein Käppchen in den Ärmel und wickelte sich die halbierte Schärpe fest um den Kopf. Dann zog er sein schwarzes Gewand aus und faltete es ordentlich zusammen. Sein Schwert hüllte er in die andere Hälfte der Schärpe und legte es, gemeinsam mit der Laterne, oben auf das Gewand, damit Windstöße es nicht fortwehen konnten. Nun schlug er die weiten Hosenbeine fest um die Waden, stopfte die Enden in seine Stiefel und band sich die Riemen um die Beine. Zum Schluß teilte er seinen langen Bart in zwei Stränge, die er sich über die Schultern warf und im Nacken verknotete. Die Spitzen schob er unter seine Kopfbedeckung.
Als er zum Rand des Grabens zurückgekrochen war, warf er einen besorgten Blick zu den Zinnen hinüber. Herr Hao hatte gesagt, daß die Bogenschützen anderweitig beschäftigt wären<, wenn der Kassierer den Palast erreichte. Die Verschwörer hatten die Bogenschützen offensichtlich abgelenkt, so daß sie nicht aufpassen konnten. Nun, er würde es darauf ankommen lassen müssen. Er ließ sich langsam ins Wasser hinuntergleiten. An den Füßen und Beinen war es nicht so schlimm, aber am Bauch und an der nackten Brust fühlte es sich eiskalt an. Er überlegte gequält, daß Tai Min zweifellos unter Wasser am Schleusenbalken entlanggeschwommen war. Aber zu einem solchen akrobatischen Kunststück fühlte er sich nicht imstande.
Augen und Nase über Wasser haltend, tastete er sich an dem schlüpfrigen Balken entlang. Seine Hände begegneten undefinierbaren, glitschigen Objekten und weichen, anschmiegsamen Stoffetzen, die sich bei seiner Berührung zu bewegen begannen. Das Balkenwerk der alten Schleusentür war verrottet, und er mußte mit unerwarteten Lücken rechnen. Auf halbem Wege verlor er plötzlich den Halt. Das Wasser schlug sprudelnd über seinem Kopf zusammen, als er unterging. Aber es gelang ihm, sich wieder an dem Balken hinaufzuziehen. Er atmete tief ein und setzte seinen Weg fort.
Als er die andere Seite erreicht hatte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Im Wasser kauernd, untersuchte er mit seinen Händen den schlammigen Streifen am Fuß der Mauer. Der mysteriöse Herr Hao mochte ein widerwärtiger Kerl sein, aber seine Genauigkeit wußte der Richter zu schätzen. Denn da war tatsächlich ein Sims - mit übelriechendem Schlamm bedeckt und mit Unkraut überwuchert, aber als Halt für die Füße durchaus geeignet. Nach einem besorgten Blick auf die vorspringende Zinne zwanzig Fuß über seinem Kopf kam er langsam aus
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