Halte meine Seele
Triumphgeschrei, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Den Rock hochgerafft, rannte ich im nächstbesten Klassenzimmer ans Fenster und riss die Jalousien hoch. Dank der H-förmigen Anordnung des Schulgebäudes konnte man vom Fenster direkt auf den Vorplatz schauen.
Langsam senkte sich Dunkelheit über den Platz, aber ich konnte sehen, dass sich nun mindestens doppelt so viele Kreaturen wie vorhin dort drängten. Und jede Einzelne von ihnen richtete ihr grotesk missgebildetes Gesicht auf die Eingangstür, vor der drei vertraute Gestalten standen.
Die Große, auf finstere Weise elegante Gestalt in der Mitte konnte nur Avari sein, der Gastgeber dieses nächtlichen Spektakels. Links und rechts von ihm standen zwei leuchtende Frauen in weißen Gewändern.
Avari hatte die fehlende Lampadie ausfindig gemacht; die Feierlichkeiten konnten weitergehen wie geplant!
Wie um die Tatsache zu unterstreichen, krümmte sich Alec genau in diesem Moment zusammen und schlug die Arme vor den Bauch, als risse ihm jemand die Eingeweide heraus. „Er entzieht mir die Kraft. Es ist zu viel und zu schnell, ohne deinen Vater als Unterstützung“, keuchte er, vor Schmerzen kaum noch fähig, sich auf den Beinen zu halten. „Er füttert sie, und das wird mich umbringen. Genau wie deinen Freund.“
„Mach doch was, Todd!“, rief ich panisch, ohne den Blick von dem Spektakel draußen abzuwenden. „Egal, was nötig ist, damit sie den Durchgang nicht öffnen können!“
Der Reaper schaute auf die Meute vor dem Fenster, dann zu Alec und schließlich wieder zu mir. „Ich lass dich hier nicht einfach allein, Kaylee.“
„Ich komm schon klar. Ich hab doch Alec“, erwiderte ich, woraufhin der Assistent halbherzig nickte, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. „Sobald wir Nash gefunden haben, hauen wir hier ab. Geh jetzt, sonst ist es für uns alle zu spät!“
Nach kurzem Zögern nickte Todd und verschwand im selben Moment, in dem es draußen plötzlich ganz hell wurde und die Menge in lautes, staunendes Rufen ausbrach. Alec stöhnte vor Schmerz. Während alle wie gebannt auf das Licht starrten, das vor der Schule aufleuchtete, erspähte ich einen dunklen Schatten auf der gegenüberliegenden Seite.
Irgendetwas bewegte sich durch die Menge, die sich langsam in Richtung der Lampadien drängte. Und zwar genau in die entgegengesetzte Richtung.
Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte in das grelle Licht, bis ich schließlich Addisons langes, blondes Haar erkannte, das die Hälfte ihres Kopfes bedeckte – die andere Hälfte hatte man ihr von der narbig-rosa Kopfhaut gebrannt. An ihrer gesunden Hand zog sie eine Gestalt hinter sich her, die ich überall und in jeder Welt erkannt hätte, selbst jetzt, wo sie sich vor Schmerz krümmte.
Nash.
„Da ist er!“ Meine Stimme klang schrill wie eine Hundepfeife. Mit dem Zeigefinger pochte ich gegen die kalte Scheibe, bis Alec, der sich am Fensterbrett festhalten musste, meinem Blick folgte. „Siehst du ihn? Er steuert auf den Baum zu, da ganz hinten.“ Unter demselben Baum hatten wir uns vor weniger als einer Viertelstunde versteckt.
Alec nickte und stöhnte leise. „Ich sehe ihn.“
Leider bugsierte Addison ihn nicht nur von den Unterweltlern und Avaris neuen Spielzeugen weg, sondern auch von uns, was es umso schwerer machte, ihn rechtzeitig zu erreichen. Zumindest wenn man nicht auffallen wollte.
Wir mussten es trotzdem versuchen.
„Komm mit!“ Ich raffte den dreckverschmierten Rock hoch und zog Alec hinter mir her, raus aus dem Klassenzimmer in Richtung Treppenhaus. Hoffentlich hielt er durch und klappte nicht zusammen! An der obersten Treppenstufe drehte ich mich kurz zu ihm um und hielt in der international – und hoffentlich auch interdimensional – bekannten Geste für „Pst!“ den Finger an die Lippen. Dann schlich ich, Alec an der Hand, so leise wie möglich die Stufen hinunter.
Unten angekommen, konnte ich Avari und die hell leuchtenden Lampadien durch die Glastüren deutlich sehen. Ich bekam Angst, dass sie mein Herz bis nach draußen klopfen hören könnten.
„Was machst du?“ Alec zog mich kraftlos von der Eingangstür weg. „Gibt es hier noch einen anderen Weg raus?“
Das Licht war so grell gewesen, dass sich meine Augen mit Tränen gefüllt hatten und ich vor lauter roten Kreisen kaum etwas sehen konnte. „Ja. Durch die Turnhalle.“ Wir liefen den Gang hinunter und durchquerten die Halle, wobei ich ihn mit einem Arm stützen musste. Vor der Tür blieben
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