Halte meine Seele
hab’s zugelassen!“ Wütend stampfte sie so fest mit dem Fuß auf, dass das Auto wackelte. Sie tat mir schrecklich leid.
„Du hättest ihn nicht aufhalten können, Em.“ Davon war ich hundertprozentig überzeugt, genauso wie davon, dass Nash und ich es hätten schaffen können. Scott und Doug konnte ich jetzt nicht mehr helfen, Nash aber schon. Egal, was er getan hatte, ich würde es mir nie verzeihen, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen.
„Ich sollte bei ihm sein.“ Emma setzte sich auf. „Kannst du mich ins Krankenhaus fahren? Vielleicht lebt er noch, dann sollte ich bei ihm sein. Das klingt blöd, ich weiß – wir waren ja nicht verliebt oder so –, aber ich fühl mich echt mies, ihn einfach so im Stich zu lassen.“
Kopfschüttelnd bog ich in ihre Straße ein. „Das klingt gar nicht blöd. Aber die lassen dich eh nicht rein, Em. Du gehörst nicht zur Familie.“ Und Dougs Familie – meines Wissens nach lebte er bei Vater und Stiefmutter – war noch in New York auf Geschäftsreise. Musste Doug etwa ganz alleine sterben? Bestimmt konnte Nash sich mit seiner Banshee-Stimme Zugang zum Zimmer verschaffen, wo er untergebracht war. „Außerdem wärst du in einem Krankenhaus, in dem es vor Polizei nur so wimmelt, nicht besonders gut aufgehoben.“
Wir waren da. Emmas Haus lag komplett im Dunkeln.
„Wo sind denn alle?“ Ich stellte den Motor aus.
„Traci arbeitet, und Cara ist auf der Weihnachtsfeier ihrer Studentinnenvereinigung“, erklärte Emma. Es war Freitagabend, also hatte ich nicht damit gerechnet, eine ihrer Schwestern zu Hause anzutreffen. Aber was war mit Emmas Mutter? Sie durfte uns nicht erwischen, bevor Emma das T-Shirt gewaschen und sich die Zähne geputzt hatte. „Und Mom hat ein Date, stell dir vor.“ Emma kletterte erstaunlich fix aus dem Auto.
Anscheinend hatte der Tod eine ausnüchternde Wirkung. Jedenfalls gab es bei ihr nicht den geringsten Hinweis auf einen Schock.
Meine Tasche in der Hand, folgte ich Emma zur Haustür. Sie kramte in der Hosentasche, bis ihr einfiel, dass ich ihr die Schlüssel abgenommen hatte. Ich hielt sie ihr hin, aber ihre Finger zitterten so sehr, dass ich doch selbst aufschließen musste.
„Ich komme mir so hilflos vor.“ Emma ließ sich aufs Sofa fallen, während ich die Tür hinter uns schloss. „So nutzlos. Frustriert und … unfähig!“ Sie schlug so heftig mit der Faust auf die Sofalehne ein, dass die Haut am Knöchel aufsprang und zu bluten begann.
„Du klingst wie ein Kerl, der im Bett versagt hat“, sagte ich und reichte ihr ein Taschentuch.
Dabei wusste ich genau, wie sie sich fühlte.
„Sehr witzig. Ich meine das ernst.“ Sie betupfte ihre Hand und warf das Taschentuch auf den Couchtisch. „Da weißt du, dass jemand stirbt, kannst aber nichts tun, um es zu verhindern. Wie hältst du das aus?“, fragte sie. „All die Toten. Wie hältst du es aus, es vor allen anderen zu wissen?“
Ich setzte mich neben sie und legte den Kopf auf ihre Schulter. „Kanntest du mal jemanden, der gestorben ist?“ Emmas Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie vier Jahre alt war, aber soweit ich wusste, lebte ihr Vater noch. Irgendwo.
„Nur Roger.“
„Wer ist Roger?“
„Der Hamster, den ich als Kind hatte. Zählt das?“
„Eher nicht.“ Ich verkniff mir das Lachen, um sie nicht zu verärgern. Roger hatte ihr meines Wissens nach sehr viel bedeutet.
„Dann ist die Antwort nein.“ Sie schlug die Beine übereinander und sah mir fest in die Augen. „Und ich habe noch nie jemanden gesehen und gewusst, dass er bald stirbt. Wie erträgst du das bloß?“, fragte sie erneut, und beinahe hätte ich ihr die Wahrheit gesagt: dass ich es überhaupt nicht ertrug. Nicht ohne Nash.
„Es ist nicht leicht.“ Ich stand auf und zog Emma hoch. „Genauer gesagt, ist es die Hölle. Hast du Eiscreme da?“
„Ja.“ Bedrückt rieb sie sich die Augen, in denen Tränen glänzten, und deutete vage auf die Küche. „Tracis Freund hat sie gestern verlassen. Schon der Vierte dieses Jahr.“ Das ging mir einfach nicht in den Kopf. Die Marshall-Mädels sahen doch umwerfend aus! „Im Eisfach müsste noch eine Großpackung sein.“
„Super. Such du doch schon mal einen Film aus, ich hol das Eis.“
Emma nickte zögernd und machte sich daran, das DVD-Regal zu durchforsten. „Bring zwei Löffel mit!“, rief sie mir über die Schulter zu.
In der ersten halben Stunde des Films – eine vorhersehbare Liebeskomödie – schaufelte Emma
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