Halte meine Seele
über den Asphalt. Der Kopf zuckte auf dem Rasen hin und her. Und um seinen Körper waberten dunkle, durchscheinende Schatten.
Aus dem Nirgendwo rollte der Unterweltnebel heran und verschluckte meine Welt.
Nash schnappte sich den Ballon, den Doug fallen gelassen hatte, und knotete ihn hastig zu, bevor der letzte Rest entweichen konnte. Dann fiel er neben Doug auf die Knie und fühlte am Hals nach seinem Puls, völlig unbeeindruckt von dem Nebel, den er nicht sehen konnte.
Im Gegensatz zu mir. Ich konnte beide Wirklichkeitsebenen sehen und versuchte verzweifelt, sie zu trennen. Den Nebel zurückzuschieben. Aber noch war ich zu sehr damit beschäftigt, lauthals zu schreien.
„Nein!“ Emmas Lippen formten lautlose Worte, und sie sank neben mir auf die Knie und hielt sich die Ohren zu. Dunkle Schatten wuselten um sie herum, und mich schauderte vor Ekel. Dabei spürte ich, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. „Nein!“ Emmas Lippen formten einen Schrei, doch ich konnte sie nicht hören, weil ich selbst zu laut schrie.
Nash hob den Kopf.
In seinen kurz zuvor noch emotionslosen Augen wirbelten Schmerz, Bedauern, Schuld und Entsetzen durcheinander. Er ließ seinen Freund, der immer noch krampfte, im Nebel und den wirbelnden Schatten liegen und kniete sich neben mich. Wie mechanisch packte er mich an den Schultern und drehte mich von Doug weg. Ich konnte zwar seine Lippen an meinem Ohr spüren, ihn aber nicht hören. Er benutzte seine Banshee-Stimme nicht. Weil ich es ihm verboten hatte.
Er hielt mich auf Armeslänge weg und rief etwas, während Emma weinte, doch ich hörte keinen von beiden. Trotzdem wusste ich, was Nash sagte. Schluck den Schrei runter. Du schaffst es, Kaylee. Lass ihn gehen …
Es war schwer. Verdammt schwer, ohne Nashs Hilfe. Aber ich durfte ihn nicht wieder in meine Gedanken eindringen lassen.
Also kniff ich die Augen zu und schlug die Hände über den Mund, doch es half nichts. Ich konnte förmlich spüren, wie der graue Nebel meine Haut kitzelte. Mit aller Gewalt presste ich die Zähne aufeinander, aber der Schrei sickerte weiter durch meine geschlossenen Lippen und kratzte meine Kehle wund. Also schluckte ich ihn, die Fäuste vor Schmerz geballt, hinunter, sperrte ihn in mir ein, wo er wie ein Schwarm wütender Wespen herumwirbelte.
Als ich die Augen wieder aufschlug, war der Nebel fort. Nash starrte mich immer noch an. Doug lag immer noch zuckend auf dem Boden. Em war immer noch am Weinen. Nash blickte sich ängstlich um. „Kannst du fahren?“, fragte er, und ich nickte. Gott sei Dank konnte ich ihn wieder hören. Hundertprozentig sicher war ich mir mit dem Fahren nicht, solange Dougs Totenlied noch in mir wütete, aber Emma hatte getrunken.
Entweder ich oder ein Taxi.
„Okay.“ Nash zog Emma so sanft wie möglich auf die Füße und ließ Doug zuckend am Boden liegen. „Em, bitte beruhige dich. Er lebt noch, und ich werde versuchen, ihm zu helfen.“ Wir gingen beide davon aus, dass Doug so gut wie tot war, aber Emma wusste schließlich nicht, dass sich bisher all meine Todesahnungen bewahrheitet hatten. „Aber Kaylee und du, ihr müsst hier weg, bevor sie wieder anfängt zu schreien.“ Er brachte Emma zum Auto und bugsierte sie vorsichtig auf den Beifahrersitz.
„Fahr sie ohne Umwege direkt nach Hause“, sagte er und half mir beim Einsteigen, weil ich mir immer noch mit einer Hand den Mund zuhielt. „Und fahr langsam. Ich ruf dich später an.“
Ich nickte. Obwohl wir gerade den schlimmsten Streit aller Zeiten ausgefochten hatten, würde ich rangehen, denn bei uns war alles komplizierter als bei anderen Pärchen. Auch die Sache mit dem Streiten und Sich-wieder-vertragen.
Bei uns ging es um Leben und Tod. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Mit der freien Hand drehte ich den Zündschlüssel im Schloss. Dann gab ich Gas. Das Letzte, was ich sah, war Nash: auf den Knien neben einem seiner besten Freunde, das Handy schon am Ohr. Noch war die Straße leer – das Ganze hatte kaum mehr als zwei Minuten gedauert, und mein Geschrei war im Dröhnen der Musik untergegangen –, aber früher oder später musste jemand aus dem Haus kommen, und zum zweiten Mal diese Woche würde eine Party in einer Katastrophe enden.
Kaum waren wir mit quietschenden Reifen um die Kurve gebogen, da ebbte die Panik langsam ab, und ich konnte freier atmen. Mein Hals fühlte sich nicht mehr so an, als hätte ich tausend Nadeln verschluckt, und zwei Blocks weiter konnte ich bereits wieder durch den
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