Halte meine Seele
Mund tief einatmen. Zum Glück war das Schnappen nach Luft das einzige Geräusch, das aus meiner Kehle drang.
Erst jetzt bemerkte ich, dass Emma weinte.
Sie war nicht angeschnallt und saß völlig zusammengesunken da, die Knie an der Brust, das Gesicht gegen die Scheibe gedrückt. Ihre Schultern bebten, und sie schluchzte leise und wischte sich mit dem Jackenärmel die Tränen aus dem Gesicht.
„Ist alles okay?“, fragte ich, als wir an einer roten Ampel hielten.
„Nein. Ist er tot?“
„Ich weiß es nicht.“ Wie würde sie es wohl verkraften? „Aber lange wird es sicher nicht mehr dauern.“
Emma drehte sich zu mir und blickte mich aus großen braunen Augen an. Flehentlich. „Kannst du ihn nicht retten? So wie mich damals?“ Ihre Stimme kippte, und wieder liefen ihr Tränen übers Gesicht.
Ich schüttelte traurig den Kopf. Wann würde mir diese Erklärung endlich leichter über die Lippen gehen? „Em, wenn wir ihn retten, muss jemand anderes für ihn sterben.“ Wir hatten ihn oder sie vielleicht nicht gesehen, aber es musste ein Reaper in der Nähe gewesen sein, um Dougs Seele einzukassieren; holten wir die Seele zurück, krallte sich der Reaper eine andere.
In der Regel lief es zumindest so ab. Mit nicht gelisteten Todesfällen hatte ich keine Erfahrung, aber ich wollte auf keinen Fall ein Risiko eingehen. „Außer dir, Nash und mir war niemand da, der infrage kommt, und ich opfere ganz bestimmt keinen von uns.“ Auch nicht für deinen Freund. Aber das sagte ich nicht laut.
„Und wenn seine Zeit noch gar nicht gekommen ist? Als ich gestorben bin, war es auch noch nicht an der Zeit.“
Das war ein gutes Argument. Und eine ziemlich schwierige Frage.
Ich atmete tief durch und richtete den Blick auf die Straße. Dasselbe hatte ich mich auch schon gefragt. Aber letzten Endes … „Es macht keinen Unterschied.“ Ich ging vom Gas und setzte den Blinker. „Du, die anderen Mädchen und Sophie – niemand von euch hatte sterben sollen. Aber um euch zu retten, musste trotzdem jemand sterben. Das kann ich nicht noch einmal riskieren.“
„Moment mal … Sophie?“ Einen Moment lang war sie so überrascht, dass sich der Schleier aus Schmerz, der sich über sie gelegt hatte, lüftete. „Ist Sophie auch gestorben?“
Mist. „Ja. Aber sie weiß es nicht, also verrate es ihr bitte nicht.“
„Als hätte ich Bock darauf, mich mit Sophie zu unterhalten.“ Emma zögerte, doch dann siegte die Neugier. „Was ist passiert?“
Ich trat aufs Gas, um noch bei Gelb über die Ampel zu kommen, verlangsamte das Tempo aber direkt danach wieder. Das wäre wirklich der krönende Abschluss dieser Scheißwoche: von der Polizei rausgewinkt zu werden, wo Emma meilenweit nach Bier stank.
„Tante Val hat ihren Platz eingenommen.“ Und ihrer Tochter dasselbe Opfer gebracht, das meine Mutter mir gebracht hatte. Mit dem Unterschied, dass Tante Val überhaupt erst für Sophies Tod verantwortlich gewesen war. Was den Wert ihres Handelns in meinen Augen deutlich schwächte.
„Deshalb ist deine Tante gestorben?“ Emma schmierte sich Mascara über den Ärmel.
„Sophie denkt, dass sie wegen des Schocks umgekippt ist, und als sie wieder wach wurde, war ihre Mutter tot“, erklärte ich schulterzuckend. „Sie hat keinen Schimmer, warum oder wie es passiert ist. Sie weiß nur, dass ich irgendwie damit zu tun hatte, und gibt mir jetzt die Schuld.“ Was mit der Wahrheit rein gar nichts zu tun hatte, aber niemand – mich eingeschlossen – fühlte sich berufen, meiner Cousine zu erklären, dass ihre Mutter fünf unschuldige Seelen für immerwährende Jugend und Schönheit hatte eintauschen wollen.
„Kein Wunder, dass sie dich hasst.“
„Stimmt.“ Letztendlich war ich mit Sophie aber auch vorher nie sonderlich warm geworden.
Eine Zeit lang starrte Emma stumm aus dem Fenster, doch ich ahnte, dass sie ihre Umgebung nicht wirklich wahrnahm. Dann sah sie mich mit ernstem Blick an. „Was war in dem Ballon, Kaylee?“
Ich hielt den Atem an. „Das willst du lieber nicht wissen.“
„Ich hab gesehen, wie Nash dich weggezogen hat. Du solltest nicht einmal einen Hauch davon abbekommen, also muss er vor dem Zeug verdammt viel Angst haben.“
„Das stimmt.“ Aber er hatte nicht gezögert, mich zu küssen und mich vollzuatmen, als er high war. Wie viel konnte ich ihm schon bedeuten, wenn er das in Kauf genommen hatte?
„Ich hätte was unternehmen müssen“, seufzte Emma. „Er hat viel zu viel genommen, und ich
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