Halten Sie sich für schlau?: Die berüchtigten Testfragen der englischen Elite-Universitäten (German Edition)
Völkerbunds, der dauerhaft den Frieden sichern sollte. Allerdings begingen sie dabei den Fehler, Deutschland, das als Hauptschuldiger des Krieges erachtet wurde, übermäßig hart zu bestrafen. Die daraus resultierende wirtschaftliche Not und der Verlust nationalen Stolzes ermöglichten den Aufstieg Adolf Hitlers, der wiederum einen noch grausameren Krieg initiierte. Es spricht für einen Erkenntnisgewinn, dass die Siegermächte den Fehler, Deutschland zu hohe Strafen aufzuerlegen, nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr begingen. Ganz im Gegenteil halfen die Amerikaner mit dem Marshallplan der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine. Das Wirtschaftswunder brachte dem Westen Wohlstand und Stabilität, die wiederum den im Osten herrschenden Sozialismus wenig attraktiv erscheinen ließen. Dieser Aspekt spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Kriegs.
Den Vereinten Nationen werden oft Ineffizienz und Dominanz der großen Nation im Sicherheitsrat nachgesagt, dennoch belegt die Gründung eines internationalen Forums, auf dem Staaten ihre Probleme ausdiskutieren können, statt sie in Kriegen auszufechten, dass aus den Ereignissen der Geschichte gelernt wurde. Natürlich fanden seit dem Zweiten Weltkrieg etliche große und kleine Kriege statt – unter anderem in Korea, in Vietnam und am Persischen Golf. In einigen Fällen befürwortete der Sicherheitsrat sogar einen bewaffneten Einsatz der Militäreinheiten der Vereinten Nationen, zum Beispiel im Kosovo und in Afghanistan.
Man könnte aber durchaus behaupten, dass die katastrophalen Folgen der beiden Weltkriege zumindest die Großmächte gelehrt haben, in Streitfällen nicht sofort mit einer Kriegserklärung zu reagieren, und Konflikte, wenn sie schon unvermeidbar schienen, zumindest regional begrenzt zu halten. Die Auseinandersetzungen zwischen der Sowjetunion und den USA während des Kalten Krieges erreichten bei Weitem nicht die aus der Historie bekannten überregionalen Dimensionen. Auch das Grauen, das den Atombombenabwürfen über Japan im Jahr 1945 folgte, mag hinter der Entschlossenheit der Großmächte stehen, größere Kriege oder gar eine nukleare Auseinandersetzung zu vermeiden. (Auch wenn einige amerikanische und sowjetische Militärs aus Hiroshima und Nagasaki nur die Lehre zogen, dass sie auf den Besitz und die Weiterentwicklung einer solch wirkungsvollen Waffe nicht verzichten können.)
Und damit kommen wir zum Kern der Frage. Geschichte ist lediglich die Schilderung der Vergangenheit und es gibt ebenso viele Interpretationen der Historie, wie es Menschen gibt, die sie erzählen. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Geschichte zu studieren, um, vereinfacht gesprochen, aus unseren Fehlern zu lernen, aber es existiert nicht nur eine Version der Vergangenheit, die klar zu einer bestimmten Erkenntnis führt. Viele Deutsche zogen aus den Schrecken des Ersten Weltkriegs nicht die Lektion, künftig Kriege zu vermeiden, sondern diejenige, künftig Kriege nicht mehr zu verlieren. Jeder von uns zieht seine eigenen Schlussfolgerungen aus der Geschichte und setzt sie auf seine eigene Weise um.
Und das führt zu einem weiteren Problem, das die Ausgangsfrage aufwirft: Wer lernt denn aus der Geschichte? Individuen? Politiker? Generäle? Staaten? Und wie setzen diese ihre Erkenntnisse um, in einer Welt, in der vielleicht entgegengesetzte Meinungen herrschen oder andere Prioritäten gelten? Letztlich lässt sich unmöglich sagen, ob Lehren aus der Geschichte den nächsten Krieg verhindern können; die Entscheidung über Krieg und Frieden hängt von unzähligen Menschen und den Ereignissen im Hier und Jetzt ab. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass man aus dem Studium der Geschichte nichts lernen kann. Nein, die Geschichtswissenschaft könnte im rechten Moment den entscheidenden Menschen die richtige Einsicht vermitteln, die einen weiteren blutigen Konflikt verhindert. Wie schon Machiavelli sagte: »Wer sich mit der […] Geschichte beschäftigt, erkennt leicht, dass alle Staaten und alle Völker von jeher die gleichen Wünsche und die gleichen Launen hatten. Untersucht man also sorgfältig die Vergangenheit, so ist es ein Leichtes, […] die Zukunft vorherzusagen.«
2 Das Interessante an den Oxbridge-Fragen ist auch, dass sie mehrdeutig sein können. Im Erkennen dieser Mehrdeutigkeit liegt oft der Schlüssel zu einer interessanten, originellen Antwort. Bei dieser Frage eröffnet »kann« mehrere Möglichkeiten. Sie lässt sich einerseits im Sinne
Weitere Kostenlose Bücher