Haltlos
erwartet. Wer sollte mitten am helllichten Tag hier auf sie lauern. „Reiß‘ dich verdammt noch mal zusammen“, redete sie beruhigend auf sich ein. Sie drängelte sich an Amber vorbei, um ihrem fragenden Blick zu entkommen, ging zurück zum Wohnzimmer, wo sämtliche Anziehsachen quer über Möbel und Boden verteilt lagen, um sich an der Terrassentür hinzuknien und die zu Bruch gegangene Vase zu entsorgen. „T., es tut mir leid, ich wollte dich wirklich nicht erschrecken.“ Amber strich ihr über die Schulter. „Ach, Amber, ist doch nichts passiert. Ich war eben so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich dich nicht kommen gehört habe. Das war alles.“ Tessa entsorgte die Blumen und die Scherben in der Küche. „So, jetzt noch Haare und Makeup und ich bin für deine Party bereit.“ „Ähm, nicht so schnell“, Amber zog einen Umschlag aus ihrer Handtasche. „Was ist das?“ „Eine Überraschung!“ strahlte Amber sie an. „Eine Überraschung? Wo du genau weißt, dass ich zurzeit alles lieber habe als Überraschungen?“ „Oh, stimmt, aber diese hier wird dir ganz bestimmt gefallen“, Amber öffnete den Umschlag und holte zwei Konzertkarten raus. „Ein Konzert? Ich dachte, wir gehen auf eine Party.“ „Tessa, manchmal kommst du mir vor, wie eine dreißig Jährige, natürlich gehen wir erst zum Konzert und danach zur Party.“ Tessa verdrehte die Augen und versuchte Amber die Konzertkarten abzunehmen, damit sie wenigstens erfuhr, welchem Musiker sie es zu verdanken hatte, statt nur auf eine Party zu gehen, auch noch vorher zu einem Konzert gehen zu müssen. Der gibt bestimmt keine Konzerte in Amerika, deshalb ist es so wichtig, dass wir in Berlin hingehen. Und dass, wo Berlin alles andere als sicher war. Sie erinnerte sich an ihren Einsatz in der Diskothek. Na wenigstens handelte es sich um einen exklusiven Club. Da hatte man zumindest die Hoffnung, keine Vampire anzutreffen, da sich etablierte Vampire nicht wagen würden aufzufallen und die Neuen, nicht das notwendige Verhalten an den Tag legen, um sich in gehobener Klasse zu bewegen. Sie bevorzugen grundsätzlich leichte Opfer, Opfer aus Randschichten, die keiner vermissen würde, wie Obdachlose, Ausreißer oder Touristen, die nicht in Gruppen unterwegs sind. Deshalb fällt es wahrscheinlich auch niemanden auf, wenn diese Menschen einfach spurlos verschwinden. Es sucht meist niemand oder zumindest nicht mehr nach ihnen. Wo kein Kläger ist, fragt auch keiner nach. Amber zog immer im letzten Moment die Karten weg, wenn Tessa nach ihnen greifen wollte. Es machte ihr sichtlich Spaß, das Tessa sich abmühte. Aber jetzt reichte es ihr langsam und sie griff sich trotz Ambers Bemühen die beiden Karten. Sie wusste genau in welche Richtung Amber sie wegziehen würde, konnte sie sie zuvor ja beobachten. Schnell wie ein Blitz wirbelte Tessa herum und rannte mit den Karten als Triumph in ihrer Hand in das Badezimmer, knallte die Tür zu und verschloss sie. Amber kam zu spät. Sie meckerte vor sich hin, während Tessa einen Moment mit geschlossenen Augen innen an der Tür lehnte und tief durchzuatmen. „Ich darf nicht so ungeduldig sein. Das fällt auf. Keine gelernten Tricks mehr, nicht bei Amber.“ Sie hob die Lider und warf einen Blick nach unten zu den Karten in ihrer rechten Hand. „James Morrison – The Awakening“ Tessa entschlüpfte ein sarkastisches Lachen. „Na wenn das nicht mal passend ist.“ Sie schloss die Tür wieder auf und gab reumütig Amber die Karten zurück. Sie umarmte Amber, gab ihr einen Kuss auf die Wange und bedankte sich voll überschwänglicher Freude. „Warte bis du siehst, wie Konzerte hier ablaufen. Wir stehen in der ersten Reihe, wenn wir schnell sind!“ Auf Tessas Gesicht zeichnete sich ein großes Fragezeichen ab. „Hier steht es, unbestuhlt, das soll heißen, dass es für niemanden reservierte Plätze gibt und wir während des Konzertes dicht gedrängt mit allen anderen Fans vor der Bühne stehen. Wir können Tanzen, vorne oder hinten stehen, worauf wir Lust haben.“ Tessas Freude war am verpuffen. Im Gedrängel, keine Bewegungsfreiheit, zu viele unbekannte Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Nein, unmöglich … stopp, Tessa wollte sich zusammenreißen. Sie musste sich wie immer verhalten. „Na dann mal los, ich stehe bestimmt nicht in der letzten Reihe“, sie griff sich die Autoschlüssel, ihre Handtasche und hakte sich bei Amber unter, um sie zur Haustür zu ziehen.
Nachdem die beiden endlich
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