Halva, meine Sueße
dann
immer heftiger. »Wie bist du aus deinem Zimmer gekommen?
Haben sie dich einfach so gehen lassen?«
Halva schüttelte den Kopf. »Nein. Natürlich nicht. Ich
gehe für immer. Meinst du, da lassen sie mich einfach so
ziehen?«
Für immer.
Das waren die schönsten Worte, die er seit Langem
gehört hatte!
Kai legte seine Stirn an ihre. »Nein. Natürlich nicht. Was
ist passiert?«
»Gegen Mudi und Baba ist Anzeige erstattet worden. Sie
sind alle auf dem Polizeirevier, Mama auch.«
»Was ist mit Miryam?«
Halva verzog den Mund. »Die hat mich nicht aufgehalten.
«
Gegen Mudi und Baba ist Anzeige erstattet worden.
Was für eine neutrale Formulierung! Kai hielt es für besser
zu schweigen, wenn auch Halva nichts weiter dazu sagte. Es
war klar, wer die Anzeige erstattet hatte.
Mudi und Cyrus waren ja auch selbst schuld an ihrer Lage.
Die Polizei zu rufen, war richtig gewesen, sagte Kai sich noch
einmal. Nur so hatte Halva gehen können, fort von diesem
ganzen Wahnsinn. Sie war Deutsche, und niemand konnte
ihr vorschreiben, mit wem sie zusammen sein sollte! Sie
hatte
ihn
gewählt, nicht irgendeinen Sharim.
»Komm«, sagte er entschieden. »Lass uns keine Zeit verlieren.
« Er griff mit einer Hand Halvas Tasche, während er
sie mit der anderen eng an sich zog. »Komm für immer mit
mir mit.«
Halva schmiegte sich an ihn. Sie drehte sich kein einziges
Mal mehr nach ihrem Elternhaus um.
Kai fühlte sich auf einmal unbekümmert. Niemand konnte
sie mehr aufhalten, da war er sich sicher. »Jetzt machen
wir es uns schön! Es ist so ein milder Frühlingsabend.« Er
schaltete die Sitzheizung ein und fuhr das Verdeck des Wagens
ein.
»Ich habe noch nie in einem Cabrio gesessen«, lachte
Halva. Die Schatten unter ihren Augen wirkten nun weniger
dunkel und sie kräuselte leicht die Nase. Kai küsste sie genau
dahin und ließ den Motor an.
»Dann ist heute das erste von unzähligen Malen. Und
jedes Mal wird schöner als das zuvor!«
Halva nickte.
Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.
Kai gab Gas, und die laue Abendluft, die ihnen ins Gesicht
wehte, bildete einen Tunnel in die Zukunft.
Frau Zimmermann hatte Gulaschsuppe gekocht, doch Kai
schob den Topf achtlos beiseite.
»Das ist nicht das Richtige zum Feiern«, sagte er, während
Halva stumm an der Küchentheke lehnte.
Sie rang kurz nach Worten, ehe sie schlicht fragte: »Wie
geht es deinem Vater?«
Kai biss sich auf die Lippen. »Den Umständen entsprechend
gut. Er hat keine größeren Verletzungen am Kopf davongetragen.
«
»Es tut mir so leid …«, begann Halva, doch Kai legte ihr
zärtlich den Zeigefinger auf die Lippen. Sie verstummte.
»Nicht jetzt, Halva. Lass uns den Abend zusammen genießen.
Was geschehen, ist geschehen. Es ist
vorbei.
Heute
beginnt die Zukunft.« Er öffnete den Kühlschrank. »Worauf
hast du Lust?«
»Ich weiß nicht. So hungrig bin ich gar nicht«, sagte sie
ehrlich.
»Das gilt nicht«, lachte Kai und packte verschiedene Käsesorten,
etwas Brot und eine Flasche Champagner auf ein Tablett,
ehe er noch Trauben aus der Obstschale griff. »Komm«,
sagte er dann wieder.
In diesem einen Wort lag so viel. So viel, was sich in den
vergangenen Monaten in ihnen beiden angestaut hatte. Eine Liebe, die durch ihre Unmöglichkeit noch stärker geworden
und an jedem Hindernis gewachsen war, bis sie unüberwindbar
schien.
Komm.
Zu dir?
Ja.
Immer.
Halva folgte Kai benommen die Treppe nach oben. Das gesamte
Haus lag still und verlassen, und die Tür, hinter der sie
Kais Schlafzimmer vermutete, war nur angelehnt.
Auf dem mittleren Treppenabsatz blieb sie stehen, um mit
ihrer plötzlichen Aufregung fertigzuwerden. Würde es heute
Abend passieren? Wie oft hatte sie sich diesen Moment ausgemalt?
Ihn erhofft, gefürchtet und gleichzeitig herbeigesehnt.
Kai und sie allein, ohne jedes Hindernis. Wie würde
es sein? Sie hatte natürlich schon andere Jungen geküsst,
doch vor dem Letzten, Großen hatte sie sich immer zurückgehalten.
Aber Kai war der Richtige. Noch nie hatte sie einem
Menschen so vertraut wie ihm.
»Alles klar?«, fragte Kai leise. Er war jetzt auch stehen geblieben
und sah sie an. Selbst im Dämmerlicht des Korridors
konnte sie die Zärtlichkeit in seinem Lächeln erkennen. Er
stellte das volle Tablett auf den Boden und griff nach ihrer
Hand. Halva folgte dem sanften Zug seines Arms nach oben
in sein Zimmer. Es war Vollmond und sein Licht erhellte
den Raum.
»Bist du jetzt hungrig?«, fragte er, nachdem er das
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