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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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ignorieren.«
    »Ich
bin
vernünftig«, flüsterte sie, doch Halva hörte den
Zorn in ihrer Stimme. Raya war normalerweise sehr beherrscht,
aber wenn sie wirklich wütend war, dann gelang es
ihr nie, das zu verbergen. »Wenigstens bin
ich
hier von uns
beiden die Vernünftige!«
    Die Zeit tropfte, bis Cyrus sagte: »Wenn ich mein Wort
nicht mehr halte, mein Ehrenwort, mein Versprechen, was
habe ich dann noch zu geben? Wie sonst kann ich Bijan als
Mann, als Ehrenmann, danken?«
    Halva wartete atemlos, doch ihre Mutter schwieg. Sie
fand wohl keine andere Antwort auf diese Frage als die, die
offensichtlich war: Was blieb von einem Mann, der sein Ehrenwort nicht mehr halten konnte, Notlage oder nicht?
Nichts. Nichts blieb von ihm. Vor allen Dingen einem Mann
gegenüber, der ihm das Leben gerettet hatte. Im Iran setzte
man mit einer solchen Tat auch immer sein eigenes Dasein
aufs Spiel.
    Halva wusste, was dieser Bijan für ihren Vater getan hatte.
Ohne ihn wäre er womöglich im Gefängnis gestorben. So
lebte er, auch wenn die Narben an Schläfen und Handgelenken
von seinen Schmerzen sprachen. Halva erschauerte innerlich.
Was für eine entsetzliche, erdrückende Schuld. War
Tragik wirklich nur etwas für Bücher? Sie war sich nicht
mehr sicher.
    »Schlaf jetzt, Raya. Die Nacht bringt Rat.« Die Stimme
ihres Vaters klang zärtlich. Halva ging das Herz auf. Was
auch immer geschehen war und was auch immer geschehen
würde, ihre Eltern hielten zusammen. Das gab ihr Mut.
    »Wie soll ich denn schlafen, mit all diesen Gedanken in
meinem Kopf?«
    »Versuch es. Bitte.«
    Klick.
Das Licht im Schlafzimmer ihrer Eltern erlosch, und
Halva stand reglos auf dem Treppenabsatz, um ihren Eltern
ihre Anwesenheit nicht zu verraten.
    Ihre Hand schloss sich um das Handy, auf dem sie die
Nachricht weggedrückt hatte, doch schon der Gedanke an
Kais Worte gab ihr Kraft.
    Sicher würde Kai sie morgen anrufen, wie er es versprochen
hatte. Ja, morgen war Samstag. Da konnten sie gut telefonieren,
entschied sie, auch wenn sie sehr beschäftigt war.
    Als im Zimmer ihrer Eltern alles still und dunkel blieb,
stieg sie noch die letzte Stufe hoch und wollte schon ins Badezimmer gehen, als sich im unteren Stockwerk leise eine
Tür öffnete. War das Mudi, der auch schon nach Hause kam?
    Sie lehnte sich über das Geländer, aber es war nicht Mudi,
sondern Miryam, die in den Flur trat. Sie sah nach oben,
doch Halva wich in die Schatten des oberen Stockwerks zurück
und erhaschte dabei durch die halb geöffnete Wohnzimmertür
einen Blick auf die zerwühlten Laken des Sofas,
auf dem ihre Tante schlief. Miryam hatte die kleine Lampe
brennen lassen, und ein dünner Lichtstrahl fiel in den Flur
hinaus, durch den Miryam nun auf Zehenspitzen Richtung
Garderobe schlich. Sie nahm Halvas Jeansjacke und ihren
Schal vom Haken und zog sich beides über, ehe sie in Rayas
Stiefel schlüpfte. Halva runzelte die Stirn. Es war fast halb
eins. Wo um alles in der Welt ging Miryam hin? Sie kannte
hier doch niemanden, oder etwa doch? Und weshalb trug sie
nicht ihre eigenen Kleider? Schließlich hatte sie aus Teheran
Winterjacke und Stiefel mitgebracht.
    Halva öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, als
Miryam sich kurz zum Spiegel neben der Eingangstür drehte.
Sie lehnte die Stirn an das kühle Glas und seufzte tief.
Etwas an dem Geräusch schnürte Halva die Kehle zu.
    Was quälte Miryam so sehr? Wo ging sie hin? War sie
sicher dort? Und was bereitete ihrer Mutter schlaflose Nächte?
Was war hier eigentlich los, verdammt noch mal?
    Halva hielt den Atem an, als Miryam ihr Gesicht vom
Spiegel löste. Ihre Tante öffnete die Wohnungstür und glitt
still wie ein Schatten in den Hausflur hinaus. Die Tür fiel mit
einem sanften, beinahe unmerklichen Geräusch ins Schloss.
    Halva zögerte nicht: Sie sprang, zwei Stufen auf einmal
nehmend, die Treppe hinunter, schlüpfte wieder in ihre Stiefel, griff nach dem Schlüssel, der in der Schale auf dem niedrigen
Schränkchen im Flur lag, und folgte Miryam aus der
Wohnung. Im Hausflur war es schon kalt, doch als sie die
Eingangstür öffnete, traf sie der eisige Wind wie ein Schlag.
Schneeflocken fielen ihr feucht und schwer ins Gesicht und
Halva sog scharf die Luft ein.
    In der Ferne sah sie Miryam allein auf dem Bürgersteig
gehen, ehe ihre Schritte schneller wurden. Der dunkle Umriss
ihrer Tante wurde in der Nacht zunehmend undeutlich,
ein Schattenriss in der weißen wirbelnden Weite. Halva kniff
die Augen zusammen, als Miryam die

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