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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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rumorte es. Hatte sie Miryam aufgeweckt?
    Halva wollte jetzt niemandem begegnen. Sie stand auf,
schlich die Treppe hoch und setzte sich dann auf die oberste
Stufe, gleich neben der offenen Badezimmertür. Sie musste
die SMS immer wieder lesen, während sie an die Berührung
ihrer beider Hände dachte. Darin hatte mehr Gefühl gelegen, als er hatte zeigen wollen, viel mehr. Es gab keine Worte
dafür. Sie schüttelte den Kopf. Was war nur geschehen?
    Unwillkürlich musste Halva an ihre Großmutter denken,
die bei ihrem Abschied all ihre Gefühle in die Halva gelegt
hatte.
Lakritz: So schwarz wie meine Stimmung, wenn ich daran
denke, dass ihr geht, aber so glänzend wie deine Zukunft in dem
fremden Land. So bitter wie meine Tränen bei unserem Abschied,
aber süß wie meine Hoffnung für dich.
    Was sagte Mamii immer? Die Frau ist die einzige Beute,
die dem Jäger auflauert. Mamii. Sie würde sich sicher über
diese Art von SMS freuen, denn sie sprach von Herz und
Seele und überhaupt von allem, von dem man in seinem
Leben unbedingt sprechen sollte.
    Halva stützte ihren Kopf in die Hände, lehnte die Ellenbogen
auf die Knie und lächelte in die Dunkelheit. Am liebsten
hätte sie ein Lied gesummt. Oder sich eine große Portion
Pasta gekocht. Wer konnte denn jetzt mit all diesen Glühwürmchen
im Herzen schlafen gehen? Niemand.
    Das Handy erlosch, doch der Gang zu den Schlafzimmern
blieb heller als üblich.
    Halva blickte erstaunt auf. Hatte sie vergessen, in ihrem
Zimmer die Nachttischlampe auszuschalten?
    Dann sah sie den Streifen Licht, der unter der Tür ihrer
Eltern in die Dunkelheit fiel. Waren sie noch wach? Das war
ungewöhnlich. Außer am Sonntag mussten sie immer sehr
früh aufstehen, um im Café alle Gerichte vorzubereiten.
Morgen war Samstag, normalerweise der geschäftigste Tag
der Woche.
    Halva erhob sich, um Bescheid zu sagen, dass sie gut nach
Hause gekommen war. Mehr als gut, aber das mussten ihre Eltern nicht wissen. Plötzlich zögerte sie. Vielleicht hatte ihr
Vater wieder einen seiner Albträume gehabt? Dann wollte
sie ihn und ihre Mutter nicht stören. Nur sie beide konnten
die grauenvollen Erinnerungen an die Woche, die Cyrus im
Iran im Gefängnis verbracht hatte, vertreiben.
    Sie wollte gerade in ihr Zimmer schleichen, als sie die leisen
Worte hörte, die aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern zu
ihr drangen. Die beiden unterhielten sich noch, kein Zweifel.
Halva spitzte die Ohren.
    »Es ist doch so lange her …«, sagte ihre Mutter gerade
und ihre Stimme klang seltsam. »Ein Leben lang. Wie kann
er nach all den Jahren noch daran festhalten?«
    Ihr Vater seufzte. »Ich weiß, ich hatte es auch vergessen. Oder vergessen wollen.«
    Ein Schluchzen. Halva suchte Halt am Treppengeländer.
Ihre Mutter weinte! Einige Atemzüge lang hörte sie nichts
als dieses leise, verzweifelte Geräusch neben dem beruhigenden
Gemurmel ihres Vaters. Halva stand ganz still. Sonst
war es Raya, die Cyrus trösten musste, wenn er schweißgebadet
und unter Schreien aufwachte. Was war geschehen?
Halva wagte kaum zu atmen.
    »Ich weiß auch nicht, was wir tun sollen, Raya«, hörte Halva
ihren Vater schließlich sagen. Seine Stimme klang brüchig.
    Eine kurze Pause entstand. Halva spürte ihre Mutter um
Fassung ringen. Was quälte sie so? In ihrer eigenen Brust
wurde es eng: Rayas Mut und Lebensfreude bestimmten das
Wohlbefinden der Familie. Wenn Raya weinte, weinten sie
alle. Lachte sie, waren alle froh. Halva wollte ins Schlafzimmer
ihrer Eltern gehen und ihre Mutter in den Arm nehmen,
aber das wagte sie nicht.
    »Können wir nicht … Ich meine, können wir nicht so tun,
als hätten wir den Brief nie erhalten?«
    Der Brief, natürlich! Halva hatte ihn über ihrer Begegnung
mit Kai völlig vergessen.
    »Ich weiß nicht …«, sagte Cyrus. »Ich schulde ihm so viel,
Raya. Mehr als nur unsere Ausreise, das weißt du. Ohne ihn
wäre ich nicht wiedergekommen, damals …«
    »Doch, Cyrus, wir können. Wir müssen! Es geht um …«
    »Ich
weiß,
worum es geht. Aber ich habe ihm damals mein
Wort gegeben. So, wie er mir seines, dass er mir helfen würde.
Ich konnte mich auf ihn verlassen. Wir alle konnten uns auf
ihn verlassen.«
    »Es war eine Notlage. Wir mussten gehen. Wir
mussten
einfach. Wenn die Polizei dich wieder geholt hätte …« Halva
hörte ihre Mutter nach Atem ringen, ehe sie heftig sagte:
»Ich habe jedenfalls keinen Brief bekommen. Du etwa?«
    »Raya. Sei doch vernünftig. Wir können Bijan nicht einfach
so

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