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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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wofür?«
    »Dafür, dass du mir zugehört hast.«
    »Gern geschehen, Kai«, sagte Halva ernst. Sie winkte
ihm noch einmal zu, suchte nach ihrem Schlüssel und verschwand
im Inneren des Hauses.
    Er schaute auf seine Handfläche, als könnte er dort noch
Spuren von Halva finden, und roch an seinen Fingern. War
da noch ein Hauch von diesem Duft, der in ihren Haaren und an ihrer Haut gehangen hatte? Er stieg wieder in sein
Auto. Hier war ihr Parfum noch präsenter. Es war diskret
und doch selbstbewusst, fein und doch voll. Er musste sie
das nächste Mal fragen, welcher Duft das war, und ihr mehrere
Liter davon kaufen.
    Was für ein verrückter Abend. Erst hatte er sich auf Selina
gefreut, und plötzlich sehnte er sich mit jeder Faser seines
Wesens nach Halva, die er doch gerade zum ersten Mal gesehen
hatte. Offenbar hatte Selina eine Tür einen Spalt weit
geöffnet, die Halva mit ihrem Tanz dann aufgestoßen hatte.
Er erinnerte sich wieder an die Schwerelosigkeit, die er gefühlt
hatte, als er ihre Bewegungen beobachtete. Besser als
tauchen. Es war ein Abgleiten in eine endlose blaue Weite.
    Der Kopf wurde ihm ganz leicht, als ihm ein Satz aus
»Romeo und Julia« einfiel, den er einmal im Englisch-LK
gelesen hatte. Es war schon komisch: Der Lehrer hatte ewig
lange über diesen Satz schwadroniert – seine Bedeutung,
seine tiefere Bedeutung und für alle, die es immer noch nicht
kapiert hatten, seine tiefste Bedeutung. Schließlich hatten
sogar zwei Mitschüler unter viel Gekicher und roten Gesichtern
den Satz
nachspielen
müssen. Kai selber war in Deckung
gegangen, als der Lehrer die Schauspieler aussuchte. Das
hätte ihm gerade noch gefehlt, sich vor der versammelten
Klasse zum Clown zu machen!
    Nun kam ihm der Satz ganz natürlich vor. Und ja, er hatte
Bedeutung: tiefe und tiefste. Er rief Halvas Nummer auf und
schickte ihr eine SMS. Dann lehnte er sich in seinem Sitz
zurück. Er erwachte wie aus einem Traum.
    Kai gab ganz ohne Schweißausbruch Gas. Die graue leere
Straße vor ihm war eine Startbahn in die Nacht und er wollte abheben. In seinem Inneren trugen ihn Flügel direkt in
den Himmel, zu den Sternen. Das Leben war wunderschön!
    Die Schneeflocken wirbelten nun schon dichter, als Kai
den Schildern in Richtung Westheim folgte.

Piep, piep,
machte Halvas Telefon, als sie in der dunklen
Wohnung die Treppe nach oben schlich.
    Alles schien still. Miryam schlief auf der ausziehbaren
Couch im Wohnzimmer und Halva wollte sie nicht aufwecken.
Wer schickte ihr so spät noch eine Nachricht? Ihr Herz
klopfte, denn sie erriet die Antwort. Es war eine Nummer,
die sie noch nicht gespeichert hatte. Das Handy leuchtete
schwach und blau in die Dunkelheit und die kleine Uhr auf
dem Display zeigte genau Mitternacht.
    Halva biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken.
Das musste Kai sein! Sie rief die Nachricht auf und
las:
Dass auch die Lippen wie die Hände tun. Romeo zu Julia. Kai
zu Halva. Gute Nacht!
    Halva schluckte und es schmeckte nach Glück. Sie sank
auf die unterste Stufe der Treppe und las den Satz noch einmal.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie strich über
ihre Finger, die er eben noch gehalten hatte. Wie sich Kais Lippen wohl auf ihren anfühlten? Sagte das Romeo wirklich
zu Julia:
Dass auch die Lippen wie die Hände tun?
Sie hatte das
Stück nur einmal als Ballett mit ihrer Klasse gesehen, doch
es hatte sie auch ohne jedes gesprochene Wort tief beeindruckt.
Dass man nicht unbedingt reden musste, hatte sie
ja eben im Auto gefühlt. Kai und sie waren einfach wie in
einem Strudel aufeinander zugetrieben.
    Ihr fielen iranische Gedichte ein, die ganz ähnliche Themen
behandelten wie Shakespeare in »Romeo und Julia«:
»Vis o Ramin« zum Beispiel, das aus dem zehnten Jahrhundert
stammte und doch so modern war wie ein heute geschriebener
Roman. »Vis o Ramin« und »Romeo und Julia«
hatten sie nachdenklich gestimmt: Durfte man nicht lieben
und glücklich sein? Warum endeten beide Geschichten so
tragisch? Ach was, es musste möglich sein. Unglückliche,
tragische Liebe war nur etwas für Romane, entschied sie
und genoss das Kribbeln, das sich einstellte, wenn sie an
Kai dachte.
Dass auch die Lippen wie die Hände tun: Vis zu
Ramin, Romeo zu Julia – Kai zu Halva.
Sie konnte die Nachricht
einfach nicht wegdrücken. Die Worte, ihre unerwartete
Innigkeit, berührten sie tief. Sie las sie wieder und wieder.
Warum konnte man SMS eigentlich nicht ausdrucken und
sich an die Wand hängen?!
    Im Wohnzimmer

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