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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Straßenseite wechselte
und nun trotz der kalten Nachtluft, die in ihren Lungen
brennen musste, losrannte. Miryam lief wie eine Getriebene
die Friedberger Landstraße entlang, auf der kein Auto mehr
fuhr. Eine Weile folgte Halva ihr, bis sie ein schmerzhaftes
Stechen in der Seite spürte. Miryam aber verlangsamte
ihre Schritte nicht, und schließlich schluckte das Dunkel der
Allee, die bis zum Eiskanal führte, ihre Gestalt vollkommen.
Sie hatte kein Ziel, begriff Halva. Ihre Verabredung war nur
mit sich selbst und all dem, vor dem sie im Iran davongelaufen
war. »Wir haben sie retten müssen«, hatte Raya gesagt.
Retten.
Halva fröstelte, doch die Kälte kam jetzt tief aus
ihrem Inneren.
    Zurück in ihrem Zimmer kuschelte Halva sich unter ihr warmes
Federbett und löschte das Licht. Sie sah an die Zimmerdecke,
an die sie leuchtende Neonsterne geheftet hatte, und
dachte an ihre junge Tante, die durch die Nacht lief. Miryam
war noch immer draußen in der Kälte. War es das erste Mal,
dass sie so durch die Dunkelheit hetzte?
    Vielleicht konnte sie Kai um Rat fragen, was er von Miryam
und ihrem nächtlichen Spaziergang hielt? Lieber nicht,
entschied sie dann. Familienangelegenheiten sollten in der
Familie bleiben.
    Wie konnte sie Miryam nur helfen?, überlegte Halva.
Langsam, Schritt für Schritt. Sie selbst war doch jetzt so
glücklich, da sollte niemand, den sie kannte, leiden müssen.
Ihre Gedanken wanderten wieder zu Kai. Ihr wurde warm
und ihr Herz schlug schneller. Sie legte sich die Fingerspitzen
an die Lippen.
    »Dass auch die Lippen wie die Hände tun«, wisperte sie in
die stille Dunkelheit ihres Zimmers hinein.
    Sicher rief Kai sie morgen an. Ganz sicher. Er hatte sie
ja sehen wollen, auch wenn sie morgen einen Workshop in
orientalischem Tanz leitete. Bauchtanz war im Iran nicht
besonders verbreitet, aber mit zwölf, dreizehn Jahren hatte
sie erst mit Ballett begonnen, dann Jazzdance gelernt und
anschließend noch viele andere Richtungen erforscht – vom
Flamenco bis eben hin zum Bauchtanz. Eigentlich war sie
zu dünn, um eine gute Bauchtänzerin zu sein. Wenn nichts
wabbelte, war es auch nicht gut, das wusste sie. Aber die
Workshops, die sie in der Tanzschule leitete, machten ihr
großen Spaß.
    Du musst wahnsinnig sein, flüsterte ihr Herz. Für Kai solltest
du alles stehen und liegen lassen! Sie schluckte. Was,
wenn er nicht anrief? Was, wenn er das nur aus einer Laune
heraus gesagt hatte?
    Dann war er es auch nicht wert, mahnte sie sich und dachte
an Mamiis Worte, damals, als sie ihr in Teheran gezeigt
hatte, wie man Halva zubereitete.
In der Liebe wie beim Halvamachen darf man nichts erzwingen.
Es musste leicht und geschmeidig
bleiben. Alles zu seiner Zeit.
    Und deshalb war es besser, morgen ihren Workshop zu
leiten und Seele und Körper mit Musik zu füllen. Außerdem
warteten an die zehn Schülerinnen auf sie, darunter auch
zwei Schulfreundinnen.
    Natürlich würde Kai sie anrufen. Kai mit seinen verstrubbelten
blonden Haaren und den leuchtenden braunen
Augen. Kai, dessen Hemd am Hals aufgeknöpft war, sodass
man seinen starken Hals erkennen und eine Ahnung von
seiner muskulösen Brust bekommen konnte.
    Die Neonsterne zwinkerten ihr bei der Erinnerung an
ihn zu. Sie funkelten bis in ihr Herz hinein, das nur noch
schneller schlug.
Kai-Kai-Kai.
Über diesem Rhythmus, der
ihr durch die Adern pulsierte, schlief sie ein und vergaß
das Gespräch ihrer Eltern wie auch Miryams Spaziergang
durch die Nacht. Es gab nichts als Lippen, die wie Hände
tun sollten.

»Na, du bist ja reichlich schweigsam«, sagte Kais Vater. »Hast
du gestern lange gefeiert?«
    »Nein, es hat sich in Grenzen gehalten«, antwortete Kai
und verstrich die Butter auf seinem Brötchen. Konnte er
Halva jetzt schon anrufen? Er sah zu der Uhr, deren Zeiger
an der makellos cremefarben gestrichenen Wand des Esszimmers
schwebten. Nein, wohl kaum. Es war gerade erst
acht Uhr. Er hatte seit sechs Uhr wach gelegen und an sie
gedacht. Als sein Vater endlich aufgestanden war und Kai
seine Geräusche im Haus gehört hatte, war das beinahe eine
Erlösung gewesen.
    »Wie spät war es denn?«
    »Hm. Mitternacht vielleicht?«
    »Das war ja wirklich harmlos. Sonst geht man doch um
Mitternacht erst aus dem Haus, oder?« Sein Vater sah ihn
kurz an, setzte sich dann seine Brille auf und griff nach der
Zeitung. Kai erwiderte nichts, biss in sein Brötchen und trank einen Schluck Tee. Er genoss den warmen Geschmack
und warf einen Blick auf die Schlagzeilen,

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