Hamburger, Hollywood & Highways
Mister Long John.“
Vielleicht lags an ihrem Lächeln, vielleicht am Karorock, doch irgendwie fühlte ich mich auf einmal sehr gesprächig. Das ist bei mir nicht immer der Fall. Unterwegs kann ich Abende lang an einer Theke hocken und Löcher in die Luft starren. Ohnehin war ich nie der Meinung gewesen, dass viel Reden auch viel Segen ist. Aber Karen hatte Schwung, und als ich herausfand, dass sie hier geboren war, nutzte ich das schamlos aus. Schließlich erhielt Ogallala seinen Ruf als Gomorrah der Prärie auch deshalb, weil dieser winzige Punkt auf der Landkarte der wichtigste Hauptumschlagplatz für Vieh gewesen war. Selbst heute noch wird zweimal die Woche gehandelt, dass sich die Balken biegen. Weil aber die Zeit auch in Ogallala nicht stehen bleibt, heißt das neueste Schlagwort „Video Marketing.“
„Mein Freund hat das erfunden“, sagte Karen. „Er fährt über die Farmen, filmt die Rinder, stellt die Clips ins Internet. Das spart Käufern und Verkäufern Zeit und Geld, und den Tieren unnötige Transporte.
„Was kostet denn ein Schlachtbulle?“, fragte ich.
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Zwischen 70 und 80 Dollar.“
Ich verschluckte mich an meinem 20-Dollar-Steak. Karen bemerkte ebenfalls, dass ihre Auskunft nicht mit den Preisen auf der Speisekarte harmonierte. Doch war es nicht die ölscheichmäßige Gewinnspanne, welche der Herr Wirt auf die Mahlzeiten schlug, die mir zusetzte. Sondern die Tatsache, dass ein prächtiges Lebewesen wie ein Bulle nicht mehr wert sein sollte als ein paar Schachteln Marlboro.
Irgendwie hatte ich keinen Appetit mehr. Ich bezahlte, und spazierte hinaus auf die Weiden der Viehauktion. Im letzten Licht des Abends war nicht mehr zu erkennen als viele Zäune und ein paar Bretterbuden. Doch zum nächsten Markttag würden die Parkplätze gefüllt sein mit Aberhunderten von Transportern. Das Brüllen der Bullen würde sich mit den Anfeuerungsrufen der Auktionäre vermischen, wenn diese versuchten, den Preis von 70 auf 71 Dollar hochzutreiben.
Es gab eine Zeit, da war das noch anders gewesen. In den 30er Jahren, während der großen Depression, traf es den Mittleren Westen besonders hart. Die Wirtschaft lag am Boden, gleichzeitig schien sich der Wettergott gegen die Bauern verschworen zu haben. Mehrere Dürrejahre hintereinander machten aus der einst so fruchtbaren Landschaft etwas, das man landauf, landab The Dust Bowl nannte, die Staubschüssel. Weiter im Süden, in Oklahoma und Texas, sorgten „Black Blizzards“ für turmhohe, Hunderte von Kilometer langen Staubstürme, die alles verschlangen, was sich ihnen in den Weg stellte. Es war ein menschgemachtes Desaster, weil im Wahn, immer größere Ernten einzufahren, über Jahre hinweg die Grasnarbe der Prärie systematisch zerstört wurde. Der Sänger Woodie Guthrie schuf aus der Umweltkatastrophe seine berühmten Songs, und wurde als „Dust Bowl Troubadour“ bekannt. Einige Romane von John Steinbeck, wie „Von Mäusen und Menschen“ oder „Die Früchte des Zorns“, erzählen von diesen furchtbaren Zeiten.
Doch mit ihnen kam Ogallala erneut auf die Landkarte. Weniger das Städtchen über der Erde, als die Schätze, die darunter lagen. Die sind mit zwei Buchstaben und einer Zahl schnell umschrieben: H20: Wasser, wertvoller als Öl, Gold, und Edelsteine, vor allem, wenn man es nicht hat. Auf einmal aber hatte man es wieder, denn es steckte im Ogallala Aquifer , dem größten Grundwasserreservoir der Welt. Das erstreckt sich über acht Staaten, von South Dakota bis hinunter nach Texas. Das Zentrum dieses 450000 Quadratkilometer großen Tanks lag direkt unter meinen Füßen. Pro Jahr werden ihm 12 Billionen Kubikmeter Wasser entnommen, um den Durst von Mensch, Tier und Land zu stillen. Das ist soviel, wie 18 Colorado Rivers zusammen. Kein Wunder, sagen Pessimisten, ist in 25 Jahren Schluss mit lustig. Aber wer will schon auf Pessimisten hören; auf diese Leute, die immer alles besser wissen, wo es doch darum geht, schnell die nächste Ernte einzufahren. Jedenfalls wurden nach dem Anzapfen des Reservoirs aus der Dust Bowl wieder blühende Landschaften, und die Rinderhaltung konnte sich erneut prächtig entfalten. Bis zum Dumpingpreis von 70 Dollar pro Bulle.
Es war keineswegs so, dass ich über all das nachdachte, als ich später im Motel unter der Dusche stand, und ein fröhlich Liedchen pfeifend den Schweiß des Tages mit 500 Liter Wasser in den Gully rauschen ließ. Ich dachte erst darüber
Weitere Kostenlose Bücher