Hana
auch ein Mädchen. Angelica küsst ein Mädchen.
Angelica ist eine Unnatürliche.
Der Ausdruck auf Angelicas Gesicht verwandelt sich von Gereiztheit über Angst in Wut.
»Verschwinde, verdammt noch mal«, knurrt sie geradezu. Bevor ich irgendetwas sagen kann, bevor ich auch nur sagen kann, es ist okay, streckt sie die Hand aus und stößt mich weg. Ich stolpere gegen Steve. Er fängt mich auf, beugt sich vor, um mir ins Ohr zu flüstern.
»Alles in Ordnung, Prinzessin? Zu viel getrunken?«
Offensichtlich hat er es nicht gesehen. Oder vielleicht doch – er kennt Angelica nicht und es wäre ihm sowieso egal. Mir ist es auch egal. Es ist das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber der Gedanke ist da, unmittelbar und umfassend: Es ist mir absolut und vollkommen egal.
Fehlgeleitete Hormone, defekte Neuronen, verzerrte Hirnchemie. So hat man es uns immer erklärt. Alles Probleme, die durch das Heilmittel behoben würden. Aber hier, an diesem dunklen heißen Ort wirkt die Frage nach Hormonen und Neuronen absurd und irrelevant. Es existiert nur, was man will und was geschieht. Es existiert nur, einander zu umschlingen und in der Dunkelheit festzuhalten.
Sofort ist mir unangenehm, wie ich in Angelicas Augen ausgesehen haben muss: schockiert, vielleicht sogar angewidert. Ich bin versucht, zu ihr zurückzugehen, aber Steve hat mich bereits in ein weiteres kleines Zimmer gezogen, das leer ist, abgesehen von einem Riesenhaufen Holzreste – offenbar alte Möbel, die über die Jahre klein gehackt und zertrümmert worden sind. Bevor ich etwas sagen kann, drückt er mich an die Wand und fängt an mich zu küssen. Ich kann den Schweiß auf seiner Brust spüren, der durch sein Hemd dringt. Er schiebt mein T-Shirt hoch.
»Warte.« Es gelingt mir, meinen Mund von seinem zu lösen.
Er antwortet nicht. Erneut findet er meinen Mund und schiebt seine Hände auf meine Brust zu. Ich versuche mich zu entspannen, aber alles, was vor meinem inneren Auge auftaucht, ist ein Bild der Wäscheleinen voller BHs und Unterhosen wie schlaffe Luftballons.
»Warte«, sage ich erneut. Diesmal schaffe ich es, mich ihm zu entziehen und etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Hier ist die Musik gedämpft und wir können reden. »Ich muss dich was fragen.«
»Was immer du willst.« Sein Blick ruht immer noch auf meinen Lippen. Das lenkt mich ab. Ich rücke noch weiter von ihm ab.
Meine Zunge fühlt sich plötzlich zu groß an für meinen Mund. »M… magst du mich?« Ich bringe es doch nicht über mich zu fragen, was ich eigentlich wissen will. Liebst du mich? Fühlt sich Liebe so an?
Er lacht. »Natürlich mag ich dich, Hana.« Er streckt die Hand aus, um mein Gesicht zu berühren, aber ich weiche ein Stückchen zurück. Dann, vielleicht als ihm bewusst wird, dass das kein kurzes Gespräch wird, seufzt er und fährt sich mit der Hand durch die Haare. »Was soll das überhaupt?«
»Ich habe Angst«, platze ich heraus. Erst, als ich es ausspreche, wird mir klar, wie viel Wahres daran ist: Die Angst würgt mich, nimmt mir den Atem. Ich weiß nicht, was furchterregender ist: die Vorstellung, dass ich erwischt werden könnte und gezwungen, in mein normales Leben zurückzukehren, oder die Möglichkeit, dass das nicht geschieht. »Ich will wissen, wie es mit uns weitergeht.«
Steve wird plötzlich ganz still. »Was meinst du damit?«, fragt er vorsichtig. Gerade gab es eine kurze Pause zwischen zwei Liedern; jetzt geht die Musik nebenan wieder los, wild und disharmonisch.
»Ich meine, wie können wir …?« Ich schlucke. »Ich meine, ich werde im Herbst geheilt.«
»Stimmt.« Er wirft mir einen argwöhnischen Seitenblick zu, als spräche ich eine andere Sprache und er könnte nicht mehr als ein paar Wörter verstehen. »Ich auch.«
»Aber dann werden wir nicht mehr …« Ich breche ab. Mir schnürt sich die Kehle zu. »Willst du nicht mit mir zusammen sein?«, frage ich schließlich.
Da wird er sanfter. Er tritt wieder auf mich zu, und bevor es mir gelingt, mich zu entspannen, hat er die Hände in meinen Haaren vergraben. »Natürlich will ich mit dir zusammen sein«, flüstert er mir ins Ohr. Er riecht nach Moschus-Rasierwasser und Schweiß.
Mit viel Anstrengung schaffe ich es, ihn erneut wegzuschieben. »Ich meine nicht hier«, sage ich. »Ich meine nicht so.«
Er seufzt wieder auf und tritt einen Schritt zurück. Ich merke, dass ich ihm langsam auf die Nerven gehe. »Was ist eigentlich das Problem?«, fragt er. Seine Stimme klingt
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