Hanan 1 - Brüder der Erde
erhob sich und wollte gehen, kniete sich dann wieder neben Kurt. »Mein Freund, komm zuerst in mein Zimmer. Ich werde dir etwas geben, das dich schlafen läßt.«
»Nein«, sagte Kurt. »Laß mich in Ruhe. Laß mich.«
»Ich habe Angst um dich.«
»Kümmere dich um Mim. Tu mir den Gefallen.« Kta zögerte. Dann stand er wieder auf und ging fort. Kurt blieb hocken, bis seine leisen Schritte verklungen waren. Er hörte, daß die Familie den
rhmei
verließ und in die hinteren Räume des Hauses ging. Kurt richtete sich auf, öffnete die Tür und zog sie lautlos hinter sich wieder zu.
Die nächtliche Straße war ohne Leben. Er trat hinaus und schritt den Gehsteig entlang. Nicht auf den Afen zu, sondern in die andere Richtung, zum Hafen.
14
Das erste Sonnenlicht brach durch die Nebelschwaden, und eine leichte Brise kam auf.
Kurt umging die äußeren Wälle von Nephane, sah mehrere Schiffe im Hafen liegen, geisterhafte, skelettartige Gebilde ohne ihre Segel. Niemand bewachte dieses Ende des Hafens, wo der alte Wall gegen den unteren Teil des Haichema-tleke stieß.
An dieser Stelle war die Stadt zu Ende, und das offene Land begann. Ein Trampelpfad verlief in südliche Richtung, ausgefahren von den Rädern handgezogener Karren. Kurt folgte ihm eine Weile, dann verließ er den Weg und ging querfeldein in die unbekannte Wildnis.
Er wußte noch nicht, wohin er eigentlich wollte. Elas war ihm für immer verschlossen. Wenn er jetzt Djan oder t'Tefur begegnen sollte, würde er sie umbringen, und das wäre das Ende für Elas.
Er lief und hoffte im stillen, daß t'Tefur ihn verfolgen würde, daß er ihm gegenüberstehen möge hier draußen, ohne Zeugen.
Aber auch das würde Mim nicht wieder zurückbringen. Mim war jetzt begraben in der kalten Erde. Er konnte es sich nicht vorstellen und wollte es nicht wahrhaben, aber es war so.
Er hatte keine Tränen mehr. Er lief, bis ihm die Luft ausging und seine Muskeln gegen die Mißhandlung protestierten, bis der körperliche Schmerz größer wurde als der Schmerz um Mim und die Erschöpfung ihn zusammenbrechen ließ.
Als er wieder klar denken konnte, war sein Kopf seltsam klar. Zum erstenmal erkannte er, daß er eine blutende Wunde am Brustkorb hatte. Er hatte sie seit dem vorigen Abend, seit die Klinge des Sufaki ihn getroffen hatte. Sie begann zu schmerzen. Die Wunde war nicht tief, aber sie zog sich fast über die ganze rechte Brustseite. Er hatte nichts, womit er sie verbinden konnte. Aber er würde daran nicht verbluten. Seine Hand- und Fußgelenke waren von den Fesseln aufgescheuert und schmerzten. Er war beinahe glücklich über diese Schmerzen, da sie den tiefer liegenden Schmerz um Mim betäubten. Er versuchte, nicht an seinen Verlust zu denken, stand auf und ging weiter, anfangs mit unsicheren, schwankenden Schritten, dann kräftiger ausgreifend.
Er wollte keinem Menschen begegnen, deshalb v erließ er immer wieder die Karrenwege und Trampelpfade, die sich hier durch das Land zogen. Die Stunden vergingen, die Sonne stieg höher, und es wurde warm. Er ging nach Süden, der mittäglichen Sonne entgegen.
Hin und wieder kam er an bestellten Feldern vorbei. Die neue Saat war gerade aufgegangen, und an den Bäumen sah er die ersten Blüten.
Als es dunkelte, spürte er einen wütenden Hunger. Seit dem gestrigen Frühstück hatte er nichts mehr gegessen, fiel ihm ein. Er kannte das Land nicht, und es erschien ihm zu riskant, wilde Pflanzen zu essen. Er sah ein, daß er sich Nahrung stehlen mußte, so schwer es ihm auch fallen mochte. Die Landbevölkerung war freundlich und arm.
Voller Bitterkeit erkannte er, daß seine Anwesenheit den unschuldigen, anständigen Menschen dieses Planeten nur Kummer gebracht hatte. Aber seinen Feinden konnte er nichts anhaben.
Mim war ständig bei ihm. Selbst wenn er zu den Sternen hinaufblickte, hörte er ihre Stimme, die ihm die Namen nannte, die sie ihnen gegeben hatte: Ysime, der Polarstern, Mutter der Nordwinde; die blaue Lineth, der Stern, der den Frühling ankündigte, Schwester von Phan. Seine Trauer hatte sich in stilles Leid verwandelt.
Durch die Dunkelheit wehte der Nordwestwind den Geruch eines Holzfeuers in seine Nase.
Er ging darauf zu, roch andere Dinge, den Geruch von Tieren und das köstliche Aroma von kochender Nahrung. Er ließ sich auf Hände und Knie hinab und kroch vorsichtig weiter auf den flachen Hügel zu, von dem der Geruch kam.
Von der Hügelkuppe blickte er in eine kleine, runde Senke hinab. Ein Haus konnte er
Weitere Kostenlose Bücher