Hanan 1 - Brüder der Erde
bist du ein Tier. Selbst ein Tier kann die Gaben des Sprechens und des aufrechten Gangs besitzen. Aber in anderen Dingen bist du wie die Nemet. Ich habe geträumt, t'Morgan. Ich habe geträumt, und in meinem Traum warst du tot. Ich habe in dein Gesicht geblickt, und der Anblick hat mich verwirrt, sehr verwirrt, t'Morgan. Ich dachte daran, daß du eine Nemet geliebt hast und darum eine Seele besitzen mußtest. Ich wachte auf und war noch immer verwirrt – und bedrückt.«
»Kta hat nichts weiter getan als das, was du auch getan hast: Er war verwirrt und bedrückt. Deshalb hat er mir geholfen. Du mußt ihn freilassen.«
»Du verstehst mich nicht. Er ist Nemet. Er ist unseren Gesetzen unterworfen. Du... kannst gehalten werden wie ein Tier. Über ihn muß ich einen Urteilsspruch fällen. Wäre es dir lieber, mit Kta zu sterben, als in Gefangenschaft zu leben? Man könnte dir eine Reihe von Bequemlichkeiten einräumen. Es wäre kein allzu hartes Leben.«
Zu seiner eigenen Überraschung fiel ihm die Antwort sehr leicht, und in diesem Augenblick verspürte er nicht einmal Angst. »Ich stehe in Ktas Schuld«, sagte er. »Er hat niemals Anstoß an meinem Menschsein genommen, und das – sehe ich jetzt ein – ist bei einem Nemet ein seltenes Zeichen von wirklicher Freundschaft.«
Ylith schien ein wenig überrascht. »Nun«, sagte sie dann, stand auf und strich ihren Rock glatt, »dann will ich dich jetzt weiterschlafen lassen, t'Morgan. Ich werde deine Bitte erfüllen und Nethim von Mims Tod unterrichten, damit man für sie beten kann.«
»Ich danke dir dafür, Methi.«
»Brauchst du irgend etwas?«
»Ich muß mit Kta sprechen«, sagte er. »Das ist das einzige, was ich brauche.«
»Das kann ich dir leider nicht erlauben.«
19
Schlüssel rasselten. Kurt schreckte aus der Lethargie langen Wartens. Plötzlich erkannte er, daß sie nicht gekommen waren, um sein Frühstück zu bringen. Dazu waren zu viele Leute auf dem Korridor. Er hörte ihre Schritte, Fetzen leiser Gespräche, dann drehte sich der Schlüssel im Schloß. Wahrscheinlich wieder eine der Launen der Methi, dachte er.
Oder es war ein Exekutionskommando, und er würde gleich über Ktas Schicksal hören.
Lhe war der Führer der kleinen Gruppe. Seine Augen waren dunkelumrandet, er wirkte müde, und sein sonst untadelig gekämmtes Haar war strähnig. Ein
tai
, ein kurzes Schwert, steckte in seinem Gürtel.
»Wartet draußen«, sagte er zu den anderen.
Sie zögerten. Er wiederholte seinen Befehl, diesmal schreiend, und sie flohen aus der Zelle.
Lhe schloß die Tür und trat Kurt gegenüber, die rechte Hand auf dem Knauf des
tai
.
»Ich bin t'Nethim«, sagte Lhe. »Mein Vater wird sich um Vel t'Elas kümmern. Ich kümmere mich um dich. Mim hat mit dir gelebt. Sie war meine Kusine.«
Kurt verneigte sich und zog es vor, den drohenden Ausdruck in Lhes Gesicht zu übersehen. »Ich habe sie verehrt«, sagte er.
»Nein«, erwiderte Lhe, »das hast du nicht getan.«
»Bitte betet für sie.«
»Das haben wir schon getan und ihre Seele den Hütern unseres Hauses anempfohlen. Um ihretwillen haben wir zu unseren Ahnen zum erstenmal Gutes über Elas gesagt, zum erstenmal seit Jahrhunderten.
Weil sie Mim bei sich aufgenommen und unter ihren Schutz gestellt haben, auch wenn sie nicht wußten, daß sie eine t'Nethim war. Aber andere Dinge werden wir nicht vergeben. Es gibt keinen Frieden zwischen den Hütern Nethims und dir, Mensch. Sie werden die Schande niemals verzeihen, die du über unser Haus gebracht hast.«
»Mim war sicher, daß sie mit ihrer Wahl einverstanden seien«, sagte Kurt. »Friede war in ihrer Seele. Sie liebte Nethim, und sie liebte Elas.«
Das gefiel Lhe überhaupt nicht. Er preßte seine Lippen zusammen und runzelte die Stirn.
»Sie war mit der Ehe einverstanden?« fragte er erstaunt. »Elas hat sie nicht dazu gezwungen und sie dir gegeben?«
»Sie haben sich unserer Verbindung anfangs sogar widersetzt, und ich habe Mims Zustimmung eingeholt, bevor ich mit Nym und Ptas t'Elas gesprochen habe. Falls es dich nicht beleidigt, es zu hören: Ich habe Mim geliebt.«
In Lhes Schläfe begann eine Ader zu pulsieren. Er schwieg eine Weile, als ob er sich erst wieder in seine Gewalt bekommen wollte, bevor er sprach. »Wir sind beleidigt worden. Aber ich weiß, daß sie dir vertraute, da sie dir im Haus unserer Feinde ihren wahren Namen nannte. Sie hat dir mehr vertraut als Elas.«
»Nein. Sie wußte, daß ich ihr Geheimnis wahren würde, aber sie hat
Weitere Kostenlose Bücher