Hanan 2 - Weltenjäger
Jemand hatte die Absicht, ihn zu benutzen, irgendeinen Nutzen aus ihm herauszupressen und ihn dann wegzuwerfen oder zu zerstören – ›ihn loszuwerden‹, hatte Isande gesagt, selbst sie war ihm gegenüber gleichgültig – und dabei steckte in dieser menschlichen Schale ein Wesen, das keines dieser Schicksale verdiente.
›Es ist unvernüftig, mich um meine Meinung über etwas zu fragen, das ich nie erfahren habe‹, hatte Chimele gesagt. Sie verstand die Gefühle eines Kallia nicht und hatte nie das Chiabres gespürt. Auf einmal fürchtete er, daß nicht einmal Chimele vorausgesehen hat, was sie mit ihnen anrichtete, und daß sie mit dem Ergebnis – einem Kameth, dessen Loyalität zur Hälfte einem Menschen gehörte – rücksichtslos verfahren würde.
Er war ein Kallia, ein Kallia! – und auf einmal merkte er, daß sein Anspruch auf dieses Recht langsam an Glaubwürdigkeit verlor. Es war nicht richtig, was er getan hatte – nicht einmal dem Menschen gegenüber.
›Isande‹
, flehte er und hoffte, wider besseres Wissen, auf eine Antwort von diesem anderen, diesem wohltuend kalliranischen Bewußtsein.
›Isande, Isande!‹
Aber von dort empfingen seine Sinne nur Dunkelheit.
Im nächsten Moment fühlte er ein leises Pochen des Idoikkhe, ein verschlüsseltes Flattern, das ›Paredre‹ bedeutete.
Chimele verlangte nach ihm.
Nun mußte er Rechenschaft ablegen.
4
Chimele war beunruhigt. Das zeigte sich an ihrem grüblerischen Gesichtsausdruck und daran, wie sie in der Ecke ihres Stuhls lehnte. Sie war nicht zufrieden; und sie war für diese Audienz nicht allein: Vier andere Iduve waren bei ihr, und mit diesem seltsamen Gefühl des déjà vu, vermittelt durch Isandes Belehrungen, erkannte Aiela sie. Es waren Chimeles Nasithi-Katasakke, ihre Halbbrüder und ihre Halbschwester aus der Gemeinschaftspaarung.
Chaikhe, die Frau, war die jüngste: Eine Künstlerin, Sängerin; nach kalliranischem Geschmack war Chaikhe zu dünn, um schön zu sein, aber sie war zu den Kamethi freundlich und rücksichtsvoll. Sie hatte sich auch für ihn interessiert: Isande hatte ihn davor gewarnt; aber Chimele hatte nein gesagt, und das erledigte die Sache. Chaikhe entwickelte nun eine Neigung zum Katasakke, zur Gemeinschaftspaarung, vermutlich war das der Grund für ihre Unruhe; aber ein Iduve mit diesem Drang verlor schnell alles Interesse an den M'metanei.
Neben Chaikhe, ihn fest ansehend, saß ihr Vollbruder Ashakh, ein Mann mit langem Gesicht, außerordentlich groß und dünn. Ashakh war sogar bei den Iduve für seine Intelligenz und Gefühlskälte berühmt. Er war der Chefnavigator der
Ashanome
und leitete einen großen Teil des eigentlichen Schiffsbetriebs, von der schrecklichen Waffentechnik bis zu den Computern, die das Herz der Schiffsmaschinerie und ihr Gehirn waren. Er vermittelte weder den Eindruck eines Mannes, der Fehler machte, noch durfte man sich ihm wohl ungestraft in den Weg stellen. Und neben Ashakh, auf eine Armlehne seines Stuhls gestützt, saß Rakhi, der Bruder, den Chimele am meisten schätzte. Rakhi sah nicht sehr gut aus und war für einen Iduve ein wenig zu dick. Auch hatte er eine unanständige Neigung zum Kutikkase – seine Vorliebe für körperliche Genüsse war zu groß, um bei den Iduve noch als ehrenhaft zu gelten. Aber er war Chimele ergeben, und er war außergewöhnlich freundlich zu den Noi Kame, sogar zu den selten beachteten Amaut, die ihn als ihren persönlichen Schutzherrn verehrten. Außerdem besaß dieser sanfte, oft lächelnde Bursche größere Tapferkeit, als die meisten vermuteten.
Der dritte der Brüder war der älteste: Khasif, ein Hüne von einem Mann, auffallend gut aussehend, mit verdrossenem Blick – älter als Chimele, aber ihr untergeben. Er gehörte dem Rang der Wissenschaftler an und war Xenoarchäologe. Er hatte ein ausgeprägtes Gefühl für M'melakhia – ein drängendes Bedürfnis nach neuen Erfahrungen –, und die Noi Kame machten sich rar, wenn er in der Nähe war, denn er hatte schon zweimal getötet. Das war der Mann, den Isande so sehr fürchtete, obwohl sie – wie sie eingeschränkt hatte – nicht glaubte, daß er absichtlich grausam war. Khasif war ungeduldig und energisch in seinen Entschlüssen, bei den Iduve ein sehr ehrenwerter Zug, solange er durch Eleganz, durch Chanokhia gemildert wurde. Er hatte den Ruf, ein sehr gefährlicher Mann zu sein, aber, soweit sich Isande erinnerte, war er nie kleinlich gewesen.
»Wie geht es Daniel?« fragte Chimele.
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