Hanan 2 - Weltenjäger
Schwindelgefühl, das sie empfand, das völlige Entsetzen vor dem Himmel oben, der abwechselnd in die Unendlichkeit klaffte oder sich zu einem Gewicht zusammenballte, das sie nicht ertragen konnte. Die stolze Isande, die sich in der Welt von Ashanome so gut behaupten konnte: Wenn sie nun den Kopf hob und den Himmel ansah, so erforderte das einen Akt der Tapferkeit, der ihre Sinne durcheinanderwirbelte.
»Es war etwas anderes, als ich den Himmel durch deine Augen gesehen habe«, sagte sie, »aber jetzt fühle ich ihn, Aiela, ich fühle ich. Oh, das ist furchtbar. Ich glaube, mir wird übel.«
Er stützte sie beim Hineingehen und setzte sich neben ihr auf das Bett, hielt sie fest, bis die Kälte aus ihren Gliedern wich. Ihr wurde nicht übel, ihr Stolz ließ das nicht zu, und mit angeborener Hartnäckigkeit machte sie sich los und taumelte zum Balkon, um ihre Schwäche zu bekämpfen. Er fing sie auf, ehe sie fallen konnte und hielt sie mit derselben sanften Gewalt, mit der sie ihm schon so oft beigestanden hatte, wenn er in Not gewesen war. Ihre Arme umschlangen ihn, und einen kurzen Augenblick lang zehrte sie von seiner Festigkeit und gab sich damit zufrieden, selbst zu atmen.
Das Gefühl, daß etwas nicht stimmte, blieb bestehen. Ihre Welt war deutlich konkav gewesen, hatte in wahrnehmbaren Umläufen rotiert, Jahrtausend um Jahrtausend. Die stark konvexe Form von Priamos ließ es erschreckend stillstehend erscheinen, wider alle Gesetze der Vernunft und der Schwerkraft, und die Wissenschaft und ihre Wahrnehmung standen im Kampf.
»Wie kann ich von Nutzen sein«, schrie sie, »wenn alles, was ich deinem Bewußtsein geben kann, Schwindelgefühle sind? O Aiela, Aiela, das passiert manchen von uns, es kommt vor, aber warum bei mir? Warum gerade bei mir?«
»Still.« Erbrachte sie wieder zum Bett, legte sie darauf nieder und stützte sie mit Kissen. Er setzte sich neben sie, sein Arm lag wie eine Brücke über ihrer Taille. Mit Zärtlichkeit berührte er ihr Gesicht, wischte die Zornestränen ab und ließ seine Hand zu ihrer Schulter wandern; wieder fühlte er ein Sehnen nach dieser Frau, gedämpft durch die Umstände und durch ihrer beider Erschöpfung; aber er würde ihre Schmerzen fühlen, sich über ihr Wohlergehen freuen, aus Gründen, unter denen das Chiabres nur nebensächlich war.
Mein Egoismus
, dachte er bitter,
mein verfluchter Egoismus, dich hierherzubringen
; und er fühlte, wie sich ihr Bewußtsein so weit wie nie zuvor öffnete und nach ihm griff, entsetzt – sie wollte nicht beiseite geschoben, wollte nicht vergessen werden, während er menschlichen Phantomen nachjagte, sie wollte ihn nicht wieder sterbend und unerreichbar auffinden.
Er verschloß sich vor ihr. Es kostete große Anstrengung.
›Daniel‹
, erkannte sie, weinend vor Wut und Eifersucht:
›Daniel, Daniel, seine Gedanken, er...‹
Menschliche Wesen: menschliche Ethik, menschliche Gemeinheit – die Erfahrung eines fremden Wesens, das das Schlimmste von seiner eigenen Rasse und von den Amaut kennengelernt hatte, Dinge, von denen sie gewußt, aber die nur er besessen hatte: die Geisteshaltung, die Gewohnheiten, das ›Gefühl‹ des Menschseins. Das Asuthithekkhe mit Daniel hatte zu lange gedauert, war zu tief gegangen; mit all der zurückgebliebenen Dunkelheit, den Geheimnissen – er war Mensch geworden, in einem verheerenden Ausmaß.
»Aiela«, flehte sie, legte den Arm um seinen Hals und berührte mit ihrem Gesicht erst die eine, dann die andere Wange. Die Menschen zeigten sich ihre Zärtlichkeit auf andere Weise. Selbst in einem solchen Augenblick mußte er sich dessen bewußt sein, und er nahm ihre Hände weg – zu heftig: Zitternd berührte er mit den Fingern ihre Wange.
Ein Mensch hätte vielleicht geflucht oder auf irgend etwas eingeschlagen, sogar auf sie. Aiela zog sich an den Fuß des Bettes zurück und setzte sich mit dem Rücken zu ihr, die Hände zusammengekrampft, bis die azurblauen Knöchel blaß wurden; einige Augenblicke lang bemühte er sich, die Bruchstücke seines Kastien aufzusammeln. Schlagen brachte nichts ein, Hassen brachte nichts ein. Daniel abzulehnen, der in seiner Menschlichkeit vollkommen war, war ordnungswidrig, denn die Ordnung hatte zwischen ihren Rassen scharfe Grenzen gezogen: Die Iduve hatten die beiden Rassen durcheinandergebracht, und die Iduve waren, nach ihrer eigenen Ethik, höchst ordnungsliebend.
Er fühlte, wie sich Isande bewegte, wußte im voraus, daß ihre schmale Hand nach ihm
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