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Hand und Ring

Titel: Hand und Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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fünf Uhr, als er Sibley wieder erreichte. Bei seiner Ankunft fuhr zugleich ein Zug vom Westen in den Bahnhof ein; es stiegen nur wenige Reisende aus, aber unter ihnen bemerkte er zu seinem größten Erstaunen eine junge Dame, die ihm schon von weitem bekanntvorkam. Und als er näherkam, entdeckte er, daß es wirklich Fräulein Dare war, die erst vor wenigen Stunden die Stadt verlassen hatte, mit der ausgesprochenen Absicht, einen längeren Besuch in Buffalo zu machen. Was konnte ihre Pläne so plötzlich verändert haben?
    Der junge Mann mochte sich aber den Kopf zerbrechen, soviel er wollte, er konnte zu keiner Lösung der Frage gelangen. So war er denn herzlich froh, als ihn nach seiner Rückkunft in den Gasthof Herr Ferris aufsuchte, um ein Stündchen mit ihm zu verplaudern; er hoffte, das werde ihn auf andere Gedanken bringen.
    An Stoff für Gespräche fehlte es nicht. Byrd hatte zunächst über sein Geschäft in Monteith zu berichten, das er glücklich zu Ende geführt, dann teilte ihm Ferris den Verlauf des Gerichtsverfahrens mit, das heute von dem Coroner eröffnet worden war, und dem der Bezirksanwalt beigewohnt hatte. Nach der Wahl und der Vereidigung der Geschworenen waren verschiedene Zeugen vernommen worden, und dabei einige, immerhin bemerkenswerte Tatsachen ans Licht gekommen.
    Es hatte sich mit ziemlicher Sicherheit herausgestellt, daß der Angriff in mörderischer Absicht und mit Vorbedacht verübt worden sei; aber die Person des Täters war nach wie vor in Dunkel gehüllt geblieben, da keine Zeugenaussage Aufschluß darüber gebracht hatte. Der Verdacht gegen den Hausierer und den Buckligen war zwar noch keineswegs ganz aufgehoben, aber doch bedeutend abgeschwächt. Man wollte nämlich wissen, daß ersterer das Haus der Witwe gar nicht betreten habe; letzterer aber war erwiesenermaßen mit dem Morgenzug angekommen, hatte sich sofort in das Gerichtsgebäude begeben und es nicht verlassen, bis zu dem Augenblick, da er nach seiner seltsamen Rede vor aller Augen die Straße hinunterging.
    Seitdem war er spurlos verschwunden; alle Nachforschungennach ihm hatten sich als nutzlos erwiesen, was an und für sich schon verdächtig war. Immerhin konnte er höchstens als Mitschuldiger bei dem Verbrechen beteiligt sein; das Hauptinteresse drehte sich aber jetzt um die Frage: wer war der Verwegene, der das in der belebten Straße gelegene Haus bei hellem Tage zu betreten gewagt hatte, um den Mordstreich gegen die harmlose Frau zu führen?
    Sieht es nicht genau so aus, als habe sie einen Feind gehabt, der ihr nach dem Leben trachtete? bemerkte der Bezirksanwalt. Und doch – wie kommt der Bösewicht dazu, sich an einer Frau zu vergreifen, die still für sich lebt, ihre Hausarbeit allein besorgt und sich grundsätzlich nicht in die Angelegenheiten anderer mischt?
    Hat sie denn ein so zurückgezogenes Leben geführt? fragte Byrd, der bisher noch nichts von dem Charakter und den Gewohnheiten der Witwe erfahren hatte.
    Freilich! Ich habe in all den Jahren, seit ich hier in der Stadt wohne, von niemand gehört, mit dem sie verkehrte. Sie hätte ein wahres Einsiedlerleben geführt, wäre nicht Orkutt gewesen. Ihr Haushalt ging regelmäßig wie ein Uhrwerk. Sie stand zur bestimmten Stunde auf, machte einen Tag wie den andern zur selben Zeit Feuer an, kochte ihr Essen, wusch Teller und Töpfe aus, und nahm dann ihre Näharbeit vor oder irgendein anderes häusliches Geschäft. Eine Ausnahme von dieser gewohnten Ordnung machte sie nur für Orkutts Mittagsmahl. Er sagt, er habe es stets bereit gefunden und nie darauf zu warten brauchen, mochte er sich auch noch so unpünktlich dazu einfinden.
    Hatte sie denn auswärts keine Freunde, keine Verwandten? fragte Byrd, dem der angefangene Brief wieder einfiel. Sein Inhalt ließ nicht gerade auf ein gleichförmiges, ungestörtes Leben schließen.
    Ich habe nur von einem Neffen gehört, aber ich weiß nicht, wo er sich aufhält. Er ist, glaube ich, ein Sohn ihrerSchwester und muß wohl in ihrer Gunst gestanden haben, denn ihm wollte sie ihr Geld hinterlassen.
    So besaß sie Vermögen?
    Etwa fünftausend Dollars; das gilt bei uns schon für eine recht ansehnliche Summe. Wie sie dazugekommen ist, weiß niemand, denn zur Zeit, als sie in unsere Stadt zog, war sie arm und begnügte sich mit einem einzigen Zimmer. Orkutt hat natürlich für seine Kost bezahlt, aber von dem Gelde kann sie unmöglich allwöchentlich zehn Dollars bei der Bank eingezahlt haben, wie sie dies in den letzten

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