Hand und Ring
Ueberraschung trat Doktor Tredwell zu ihm ins Zimmer, während er noch beim Frühstück saß.
Hier, Byrd, ist eine Zuschrift vom Inspektor, die Sie vielleicht interessieren wird, sagte er freudig erregt; ich erhielt sie durch den Detektiv, der heute früh von Neuyork angekommen ist.
Von banger Ahnung erfüllt, er wußte selbst nicht warum, las Byrd wie folgt:
» Geehrter Herr!
Ueberbringer dieses ist im stande, jeden Fall von nicht ganz ungewöhnlicher Schwierigkeit zu übernehmen. Es liegt in unserm Interesse, daß Sie ihn allein bei der fraglichen Sache verwenden, mit Ausschluß des von Ihnen erwähnten Beamten. Sollte letzterer jedoch glauben, Ihnen durch selbständiges Vorgehen wesentliche Hilfe leisten zu können, so steht es ihm frei, in seiner Eigenschaft als Detektiv zu handeln, im Fall er dabei seinen Charakter wahren und seine Verbindung mit der Polizei möglichst geheim halten kann.«
Sie sehen also, rief Tredwell, Sie haben selbst zu entscheiden, ob Sie mir Beistand leisten wollen oder nicht.
Es müßten schon starke Gründe sein, die mich nach diesem Brief bestimmen könnten, mich noch weiter mit der Sache zu befassen, entgegnete der junge Mann unmutig.
Nun, das wird sich ja finden, war des Coroners zuversichtliche Antwort, warten wir erst die heutige Verhandlung vor den Geschworenen ab. Sollte sich infolge derselben Ihr Entschluß ändern, so lassen Sie mich's nur wissen!
Damit entfernte er sich, Byrd in keiner sehr beneidenswerten Stimmung zurücklassend. Zufolge der Erlaubnis seines Vorgesetzten, wozu der Wunsch des Coroners und sein eigenes Interesse kam, fühlte er sich abermals in Schwanken und Ungewißheit gestürzt, nachdem er kaum gehofft, den Zweifeln glücklich entronnen zu sein. Zudemnahm er mit Schrecken wahr, daß gewisse Gefühle, die er am Abend zuvor gewaltsam niedergekämpft zu haben meinte, wieder mit neuer Stärke erwachten. Es schien beschlossene Sache – er sollte seinem Schicksal nicht entgehen! –
Den Morgen über hatte er noch für den Bezirksanwalt auf dem Gericht zu tun; sobald er aber dort fertig war, begab er sich nach Frau Klemmens' Hause, wo die Verhandlung vor dem Coroner bereits im Gange war.
Die Zimmer waren alle so gedrängt voll Zuschauer, daß Byrd es von vornherein aufgeben mußte, sich im Innern einen Platz zu verschaffen. Wegen der unerträglichen Hitze, die in dem engen Raum herrschte, hatte man die Fenster geöffnet, so daß er seinen Stand an einem derselben nehmen und von außen der Verhandlung folgen konnte. Um die einzelnen Zeugen, welche vor den Geschworenen erschienen, zu beobachten, brauchte er nur den Hals ein wenig zu recken. Hinter ihm sammelte sich bald eine neugierige Menschenmenge, die ihm durch Drängen und Stoßen recht lästig fiel, was ihn jedoch nicht bewog, seinen günstigen Platz wieder aufzugeben.
Ein Zeuge war nach beendetem Verhör soeben abgetreten, und der Coroner nahm das Wort.
Meine Herren, sagte er mit klarer, weittönender Stimme, wir haben uns bisher damit beschäftigt, die Bewohner dieser Straße zu vernehmen, in der Absicht, womöglich zu erfahren, wer mit Frau Klemmens das Gespräch geführt haben kann, das der Hausierer an der Küchentür gehört haben will.
Unter den Zuschauern, die unmittelbar vor Byrds Fenster standen, erhob sich eine Bewegung. Sie ging offenbar von jemand aus, der sich außerhalb des Wohnzimmers befand, dessen Eingang dem Beobachter durch den Türpfeiler verdeckt wurde; wenigstens richteten sich viele Blicke dahin. Neben der offenen Tür, die in den Vorsaal führte, sahByrd einen blassen untersetzten Mann von unscheinbarem Aeußern an der Wand lehnen. Es fiel ihm auf, daß er, trotz der Unruhe um ihn her, bewegungslos in seiner Stellung verharrte, ohne sich darum zu kümmern, was in seiner Nähe vorging.
Unsere Bemühungen nach dieser Richtung hin, fuhr der Coroner fort, sind, wie Sie gehört haben, bis jetzt erfolglos geblieben. Niemand ist imstande gewesen anzugeben, wer an jenem Morgen bei Frau Klemmens im Zimmer war. – Ich wende mich nun einer andern Frage zu, die uns vielleicht eher zu einem Ergebnis führen wird. Fräulein Firman, wollen Sie gefälligst Ihr Zeugnis ablegen.
Sofort erhob sich aus einem Winkel des Gerichtszimmers eine anständig gekleidete, große, hagere Frau mit angenehmen Gesichtszügen. Sie trat mit ruhiger Sicherheit auf und nahm ohne Befangenheit ihren Platz den Geschworenen gegenüber ein.
Ihr vollständiger Name? fragte der Coroner.
Emilie Lätitia Firman.
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