Hand und Ring
Coroner ihr reichte, warf einen schnellen Blick hinein und versetzte: Ohne Zweifel; die Anrede »Liebe Emilie« gilt mir.
Meine Herren, wandte sich der Vorsitzende jetzt andie Geschworenen, ich fordere Sie auf, von dem Inhalt dieses Briefes Kenntnis zu nehmen, welcher von der Ermordeten vielleicht nur wenige Minuten, ehe der Todesstreich fiel, geschrieben worden ist. Fräulein Firman wird die Güte haben, das Schreiben, das an sie gerichtet war, laut vorzulesen und es Ihnen dann zu übergeben.
So aufgefordert unterzog sich die Zeugin der traurigen Pflicht und las mit bebender Stimme:
» Liebe Emilie!
Warum ich Dir eigentlich heute schreibe, weiß ich nicht. Ich habe alle Hände voll zu tun, und der Morgen ist sonst nicht meine Zeit für schriftliche Herzensergüsse – aber mir ist heute so ängstlich zumute, und ich fühle mich recht verlassen. Es will mir gar nichts nach Wunsch gehen, und da fallen mir die mancherlei Ursachen zu geheimer Furcht, die ich stets gehabt, besonders schwer aufs Gemüt. Das ist immer der Fall, wenn ich mich nicht ganz wohl fühle. Vergebens sage ich mir, daß achtbare Leute sich schwer zu einem Verbrechen hinreißen lassen. Es leben so viele, denen mein Tod nur allzu willkommen wäre, und ich schwebe fortwährend in der Angst vor einem –«
Gerechter Himmel! rief das Fräulein, sich mit entsetzten Blicken im Kreis der Zuhörer umschauend, die ihr mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt waren.
Nur noch eine Frage, Fräulein Firman, unterbrach der Coroner die lautlose Stille, welche in der Versammlung herrschte, als die Zeugin schwieg. Wäre das Schreiben beendet worden und an seine Adresse gelangt, welchen Schluß würden Sie daraus gezogen haben?
Ich hätte nicht anders denken können, als daß daseinsame Leben, welches meine Cousine führte, sie schwermütig gemacht haben müsse.
Aber die geheime Furcht, von der sie schreibt – wer ist der Gegenstand derselben gewesen?
Darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben.
Und doch haben Sie gewiß eine bestimmte Ansicht?
Ich weiß nur einen, auf den sich die Worte möglicherweise beziehen könnten.
Und der ist?
Valerian Hildreth.
Achtes Kapitel.
In der Zwischenpause, welche entstand, während die Zeugin Emilie Firman sich zurückzog, verwandte Byrd kein Auge von der Türöffnung, in welcher der Ellenbogen des unsichtbaren Individuums sich lebhaft hin und her bewegte, wie um sich Raum zu schaffen. Jetzt kam statt des Ellenbogens eine Hand zum Vorschein, die sich nach dem Hut ausstreckte, der in der Ecke am Boden stand. Byrd konnte nicht umhin, die Hand zu betrachten. Die muß einem besseren Herrn angehören, dachte er; sie war groß, weiß, schön geformt und trug am kleinen Finger einen auffallend schweren Siegelring. Sie langte nach dem Taschentuch, das im Hute lag, und verschwand damit hinter dem Türpfeiler, der sie den Blicken des Detektivs entzog. Als die Hand abermals erschien, um das Tuch in den Hut zurückzulegen, bemerkte jener zu seiner Ueberraschung den Ring nicht mehr, der einen Moment zuvor seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Der feine Herr hatte ihn abgezogen. Warum wohl? Fürchtete er sich etwa? – Ob wohl der Mann, den Byrd für den zweiten Detektiv, für seinenNebenbuhler hielt, den Vorgang auch bemerkt haben mochte? – Rasch blickte er nach ihm hin; er stand ruhig, anscheinend teilnahmlos am Pfeiler, sich das Kinn mit der Hand streichelnd.
Jetzt nahm der Coroner wieder das Wort: Wir haben soeben aus dem Zeugnis von Frau Klemmens' bester Freundin ersehen, was die Ursache der geheimen Befürchtungen gewesen sein kann, welche die Ermordete für ihre Sicherheit hegte. Wir dürfen zwar, meine Herren, solchen Gefühlen einer einsam lebenden, vielleicht menschenscheuen Frau kein allzugroßes Gewicht beilegen, doch möchte ich Ihnen noch eine schriftliche Aufzeichnung der Witwe unterbreiten, welche –
Hier wurde der Vorsitzende durch die Ankunft eines Boten unterbrochen, der ihm ein Telegramm einhändigte. Während der Coroner die Depesche las, kam Byrd plötzlich ein Gedanke. Er riß ein Blatt aus seinem Taschenbuch und schrieb einige Zeilen des Inhalts darauf, daß er es für ratsam halte, den Wirt des Osthotels über Stand und Namen der Fremden zu vernehmen, welche am Tage der Mordtat bei ihm eingekehrt seien. Nachdem er seine Anfangsbuchstaben H. B. unterzeichnet, gab er das Blatt einem Knaben in seiner Nähe mit dem Auftrag, es dem Coroner zu überbringen.
Die Botschaft langte glücklich drinnen bei Doktor
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