Hand und Ring
dem Hause der Witwe waren am Morgen ihres Todes und daselbst ein Gespräch mit ihr hatten, wenige Minuten, ehe der Mordstreich fiel?
Ja, entgegnete er mit fester Stimme.
Wie sind Sie in das Haus gelangt? Haben Sie es von der Straße durch die Vordertür betreten?
Ja.
Und sind Sie niemand auf dem Wege begegnet? Haben Sie niemand im Vorbeigehen am Fenster gesehen?
Nein.
Wie lange sind Sie im Hause geblieben, und was war der Erfolg Ihrer Unterredung?
Ich blieb etwa zehn Minuten und erfuhr von Frau Klemmens nur, daß sie sich im besten Wohlsein befinde. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, hätte sie hundert Jahre alt werden können.
Er sprach dies wie grollend, seine Augen funkelten; ein Schauder durchlief die Versammelten in dem Gefühl, daß der Mörder selbst vor ihnen stehe.
Teilen Sie mir gefälligst mit, wie die Zusammenkunft verlief und ob dabei etwa zornige Worte gewechselt wurden.
Es kostete den jungen Mann offenbar die größte Selbstüberwindung, ruhig Rede und Antwort zu stehen; die Glut, die sich über sein Antlitz ergoß, verriet jedoch eher Entrüstung über die schmachvolle, demütigende Lage, in die ergeraten war, als die geheime Furcht eines feigen Verbrechers.
Frau Klemmens sprach laut und heftig, erwiderte er endlich mit dumpfer Stimme, aber sie wußte nicht, wer ich war. Ich gab mich als Verkäufer eines Universalmittels aus, das alle Krankheiten heile. Sie aber entgegnete, sie wolle nichts mit Quacksalbern zu tun haben und brauche keine Tränke und Arzneien. Als ich, um meinen Zweck zu erreichen, noch weiter in sie drang, und nach ihrem Gesundheitszustand fragte, erklärte sie sich für wohl und kräftig, hieß mich meiner Wege gehen und wies mir zornig die Tür. – Weiter ist zwischen uns nichts verhandelt worden.
Byrd sah, wie seine Lippe bebte, als er die letzten Worte sprach, offenbar fürchtete er die nächste Frage. – Der Coroner zog es aber, wie es schien, vor, sein Ziel auf einem Umweg zu erreichen.
In welchem Zimmer fand die Unterredung statt und durch welche Tür betraten und verließen Sie dasselbe? forschte er.
Ich war durch die Vordertür eingetreten, und wir standen in jenem Zimmer – der junge Mann deutete auf die Wohnstube, aus welcher er kam.
Sie standen? – Sie nahmen gar nicht Platz, sondern standen die ganze Zeit über in dem Zimmer?
Ja, lautete die Antwort, deren Ton dem Coroner wohl nicht gefallen mochte, denn er sah Herrn Hildreth lange und prüfend an.
Sind Sie auch auf Ihrem Rückweg niemandem begegnet?
Nicht daß ich wüßte, ich habe mich nicht umgesehen.
Sie gingen also auf dem gewöhnlichen Weg nach der Hauptstraße und von da – wohin?
Nach dem Bahnhof; ich wollte die Stadt verlassen, wo ich nichts mehr zu tun hatte.
Wohin reisten Sie zunächst?
Nach Albany, mein Gepäck war dort geblieben.
Demnach fuhren Sie mit dem Mittagszug, der fünf Minuten nach zwölf abfährt?
Ich glaube, ja.
Haben Sie das Billett am Schalter gekauft?
Nein, dazu war keine Zeit.
War denn der Zug schon eingefahren?
Herrn Hildreths Geduld – oder sein Mut – war offenbar erschöpft durch die sich Schlag auf Schlag folgenden Fragen.
Das kann doch unmöglich hierhergehören, entgegnete er unwillig. Der Zug war sogar schon im Abfahren; ich mußte laufen, ihn zu erreichen. Mit Lebensgefahr sprang ich gerade noch in den hintersten Wagen.
Er biß die Lippen zusammen und sah aus, als wünschte er, daß der gefährliche Sprung ihm damals mißlungen wäre. Die neugierigen Blicke, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, schienen ihn wie spitze Dolche zu durchbohren, ihm seine Lage mit jeder Sekunde unerträglicher zu machen; aber der Coroner, streng in Ausübung seiner Pflicht, gab sein Opfer nicht wieder frei.
Sie sind der einzige Mensch, Herr Hildreth, sagte er, von dem wir wissen, daß er während der letzten halben Stunde vor dem Mordanfall im Hause der Witwe anwesend war. Alles, was Sie uns über Ihren Aufenthalt dort sagen können, ist daher von der größten Wichtigkeit. Haben Sie irgend etwas gesehen oder gehört, was zu der Vermutung Anlaß geben konnte, daß die Witwe nicht allein war, daß sich sonst jemand im Hause befand? – Ueberlegen Sie wohl, ehe Sie antworten!
Byrd glaubte, der Zeuge werde den Wink verstehen und sich an diese Möglichkeit einer Entlastung klammern, wie der Ertrinkende an das Rettungsseil. Vielleicht hieltHildreth aber seine Sache bereits für verloren und jeden Ausweg für abgeschnitten; er schüttelte nur langsam den Kopf und sagte mit
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