Hand und Ring
und werde erst in einigen Tagen zurückkehren.
Mißvergnügt und niedergeschlagen begab sich Byrd auf den Rückweg. Er war indes noch nicht weit gegangen, als er vor sich eine lustig trällernde Stimme hörte und den trefflichen Tenorsänger vom Kirchenchor erkannte, dessen angenehme Bekanntschaft er am letzten Sonntag gemacht. Baldhatte er ihn eingeholt; das heitere Geplauder des jungen Mannes zerstreute ihn, und sie gingen eine Strecke miteinander, bis Byrds Gefährte vor einem stattlichen Hause stehen blieb.
Hier muß ich mich Ihnen empfehlen, sagte der junge Dury, ihm die Hand reichend, es ist heute Fräulein Tremaines Empfangsabend, und wir wollen ein wenig musizieren. Sie kennen doch Fräulein Tremaine, die Tochter des Gymnasialdirektors? Die Schüler der obersten Klassen haben am Donnerstag immer Zutritt bei ihr, aber auch andere Gäste sind willkommen. Wenn Sie nichts anderes vorhaben, mache ich mir ein Vergnügen daraus, Sie dort einzuführen. Kommen Sie mit, Sie werden sich gewiß gut unterhalten.
Nur einen Moment schwankte Byrd, ob er dem Widerwillen, den er vor seinen eigenen Plänen empfand, nachgeben dürfe, dann kämpfte er alle Bedenken nieder und folgte der Aufforderung des freundlichen jungen Mannes. Bald betraten beide die hell erleuchteten Räume, in denen die Jugend schon versammelt war. Herr Dury stellte seinen neuen Bekannten der liebenswürdigen jungen Wirtin vor, und es entspann sich bald ein ungezwungenes Gespräch zwischen ihnen. Jetzt war auch Fräulein Dare ins Zimmer getreten, sie sah bleich und angegriffen aus, ihr Blick war starr, ihr Lächeln gezwungen, man sah, daß ihre Gedanken weit abschweiften von der harmlos heitern Gegenwart.
Dury eilte auf sie zu, um sie zu begrüßen. Nicht weit von ihnen stand Fräulein Tremaine neben Byrd. Rasch die Gelegenheit benützend, gab dieser dem Gespräch eine andere Wendung.
Sie werden gewiß von dem geheimnisvollen Mord gehört haben, sagte er, der in der Stadt verübt worden ist. Wissen Sie schon die letzten Nachrichten?
Nein, entgegnete Fräulein Tremaine, aber das schrecklicheEreignis interessiert mich sehr, wir haben Frau Klemmens gut gekannt. Hat man den Mörder entdeckt?
Ja, man glaubt ihn zu kennen; es ist zwar noch nicht erwiesen, aber der Verdacht ruht auf –
Eben noch hatte er Fräulein Dares tiefe volle Stimme vernommen, jetzt stockte plötzlich das Gespräch hinter ihm; er dachte an ihre Herzensqual und vermochte das verhängnisvolle Wort nicht auszusprechen. Neue Gäste traten ein, die Wirtin begrüßte sie, die musikalische Unterhaltung sollte beginnen. Man machte Byrd mit der Gesellschaft bekannt, auch Fräulein Dare wurde er vorgestellt; sie schien sich nicht zu erinnern, ihm schon früher begegnet zu sein.
Sie sind fremd hier in der Stadt, wie mir Herr Dury sagt, begann sie die Unterhaltung; gedenken Sie längere Zeit in Sibley zu verweilen?
Das hängt von den Umständen ab, wird sich aber bald entscheiden; die Stadt ist sehr hübsch gelegen und gar kein übler Aufenthalt, – die nichtssagenden Worte wollten ihm kaum über die Lippen; es standen so wichtige Dinge auf dem Spiel, ihr Glück, vielleicht ihre Ehre! –
Inzwischen hatte Fräulein Tremaine drinnen im Musikzimmer am Klavier Platz genommen, der junge Dury war ihr gefolgt, und auch die übrigen Gäste drängten sich zu dem musikalischen Genuß. Kaum sah sich Imogen Dare mit Byrd allein, als sie ohne weitere Umschweife die Frage an ihn richtete, ob sie vorhin recht verstanden habe, daß in betreff des Mordes der Frau Klemmens neue Tatsachen ans Licht gekommen seien.
So brachte sie selbst das gefährliche Thema zur Sprache. Byrd bezwang seine Erregung und erwiderte so unbefangen wie möglich:
Es hat heute eine Verhandlung stattgefunden, und man glaubt des Verbrechers habhaft geworden zu sein.
Der flüchtige Blick, den er hiebei auf die junge Damewarf, hatte sein Schicksal besiegelt. Die Probe war nur zu gut gelungen. Angst, Schmerz, bleiche Furcht und Todesschrecken malten sich in ihren Zügen.
Aus dem Nebenzimmer vernahm man jetzt die Töne eines wohlbekannten Liedes; sie schienen Imogen wieder zu sich zu bringen. Mit erzwungener Fassung murmelte sie vor sich hin: Es ist so schrecklich, von einem Verbrechen in nächster Nähe zu hören. – Sie hatte ihre Selbstbeherrschung zurückgewonnen. – Und wer soll denn die Tat begangen haben? fragte sie. Nennt man etwa einen bestimmten Namen?
Ein Herr aus Toledo soll der Mörder sein, ein gewisser Valerian
Weitere Kostenlose Bücher