Hand und Ring
düsterem Ausdruck:
Wenn jemand im Hause war, so habe ich ihn weder gesehen noch gehört. Ich dachte, wir seien allein.
Dies offene Zugeständnis sprach zu seinen Gunsten, aber die Unruhe und Verwirrung, die er dabei verriet, zeigten deutlich, daß er sich der Tragweite seiner Antwort wohl bewußt war. Dem unerbittlichen Dränger trotzend richtete er sich stolz empor.
Jetzt tat der Coroner einen ganz unerwarteten Schachzug, indem er den Zeugen ersuchte, ihm in das Nebenzimmer zu folgen. Verwundert kam dieser der Aufforderung nach, während die Anwesenden in atemloser Spannung den Vorgang beobachteten. Tredwell schritt bis in die Mitte des Wohnzimmers.
Ich wünsche zu wissen, sagte er, auf welcher Stelle Sie während Ihrer Unterredung mit Frau Klemmens standen. Nehmen Sie womöglich genau denselben Platz ein!
Es sind zu viele Leute im Zimmer, warf der Zeuge ein, den dies Verlangen, dessen Zweck er nicht einsah, mit Mißtrauen erfüllte.
Das Publikum wird sich zurückziehen. So, nun können Sie leicht die Stelle finden, an der Sie neulich standen.
Gut, hier also, rief der junge Mann.
Und die Witwe?
Stand mir gegenüber.
Der Coroner deutete nach den Fenstern.
Frau Klemmens stand also mit dem Rücken nach dem Hof, und Sie mit dem Gesicht.
Schnell wieder ins Gerichtszimmer zurücktretend, fragte er Hildreth:
Sahen Sie, während Sie dort standen, niemand umdas Haus herum nach der Hintertür kommen und sich wieder zurückziehen, ohne zu klopfen?
Jener runzelte die Brauen, er schien nachzudenken.
Antworten Sie! drängte der Coroner, es ist nichts zu überlegen.
Nein, rief der Zeuge, ihm fest ins Auge blickend, ich habe niemand gesehen.
Auch nicht den Hausierer, der nach der Küchentür ging?
Nein.
Jetzt begann der Coroner auf ein Stück Papier allerlei Zahlen zu schreiben und sie zusammenzurechnen. Der junge Mann beobachtete sein Tun mit fast wilden Blicken, holte tief Atem und ward bleich, als jener endlich wieder aufblickte.
Und doch müssen Sie den Hausierer gesehen haben, der des Weges kam, wenn Sie wirklich an der Stelle standen, die Sie mir bezeichneten, fuhr Tredwell fort, als hätte gar keine Pause in dem Verhör stattgefunden.
Diese mit unumstößlicher Gewißheit behauptete Tatsache brachte den Zeugen aus der Fassung. Wie hilflos blickte er um sich, als suche er jemand, der ihm Beistand leisten werde in dieser Not. Da ihm aber keiner half, raffte er alle seine Kraft zusammen.
Ich verstehe nicht, sagte er, wie Sie das beweisen wollen? – Seine Stimme bebte vor innerer Angst. – Woher wissen Sie so genau, daß jener Hausierer an die Tür kam, während ich im Hause war? Kann er nicht vorher dagewesen sein? Oder – noch besser – erst gekommen sein, nachdem ich fort war? –
Die letzten Worte sprach er laut und eindringlich; sie hallten erschütternd in aller Herzen wieder. Viele wurden milder gestimmt, und selbst Byrds Gesicht verriet einen Umschwung seiner Gefühle.
Nur der Coroner blieb unbewegt. Er reichte dem Zeugen das beschriebene Papier und sagte in trockenem Ton:
Die Rechnung ist sehr einfach, Herr Hildreth. Sie sagen, daß Sie von hier aus geradeswegs nach dem Bahnhof gingen und nur noch Zeit hatten, in den Zug zu springen. Das kann kaum sieben Minuten in Anspruch genommen haben. Folglich waren Sie zwei Minuten vor zwölf Uhr noch hier im Hause. Der Hausierer aber kam um fünf Minuten vor zwölf in den Hof der Witwe, mit der Sie noch im Gespräch gewesen sein müssen. Doch behaupten Sie, ihn nicht gesehen zu haben, obgleich Sie mit dem Gesicht nach dem Hof zu standen.
Der junge Mann bezwang sich nicht länger.
Handelt es sich etwa um astronomische Tabellen, brach er heftig los, daß Sie meinen, die Zeit so genau bestimmen zu können? Wie wissen Sie, daß die Angaben der Zeugen auf die Minute richtig gewesen sind? Der kleinste Irrtum in der Zeit wirft Ihre ganze Rechenkunst über den Haufen.
Die Genauigkeit der Zeugenaussagen ist in diesem Fall kaum zu bezweifeln, entgegnete Doktor Tredwell gelassen. Die vier Herren vor dem Gerichtsgebäude haben die Stadtuhr zwölf schlagen hören, gerade als der Hausierer aus dem Heckenweg in die Straße bog; auch hat eine höchst glaubwürdige Zeugin eidlich versichert, sie habe eben gesehen, daß es auf der Stadtuhr fünf Minuten vor zwölf war, als sie den Hausierer bemerkte, der durch das Tor auf das Haus der Witwe zuging. – Damit wir aber vor jedem Irrtum sicher sind, kann ich die Sache auch noch von einer andern Seite beleuchten: um
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