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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Taschentuch aus seiner Sakkotasche und wischte damit den Knauf seiner Bürotür ab, auch von innen. Als er merkte, dass Unwin ihn beobachtete, sagte er barsch: «Ich bin ein Feind von Unordnung in jeglicher Form.», und steckte das Tüchlein in die Tasche zurück. Dann warf er die Tür hinter sich zu. Auf der Milchglasscheibe stand «Benjamin Screed».
    Unwin klemmte sich seinen Schirm unter den Arm und wandte sich erneut in Richtung Zimmer 2919. Das also war Sivarts Büro gewesen, und nun sollte er es benutzen. In der Zwischenzeit hatte die Frau im karierten Mantel seinen Platz eingenommen. Bedeutete das, dass sie seine Schreiberin war? Und womit würde sie sich beschäftigen, bis er seinen ersten Bericht abgab? Wenn das so weiterging, würde sie lange darauf warten müssen.

Fast alles kann man in zwei Kategorien einteilen: Einzelheiten und Hinweise. Das eine vom anderen unterscheiden zu können, ist wichtiger als die Unterscheidung zwischen Ihrem linken und Ihrem rechten Schuh.
     
    Zimmer 2919 war klein und fensterlos. In der Mitte des Büros stand ein Schreibtisch, dessen Oberfläche mit zerknülltem Papier bedeckt war. Die Lampe brannte. Eine Frau mit rundem Gesicht saß, den Kopf auf die Lehne gelegt, auf dem Stuhl. Ihr dickes rotes Haar war mit einer Nadel auf dem Kopf festgesteckt. Schiefe kleine Zähne waren hinter den leicht geöffneten Lippen zu erkennen. Ihre dicklichen, kurzfingrigen Hände lagen schlaff über der Schreibmaschinentastatur.
    Sollte es Unwins Schicksal sein, bei seinem Gang von einem Büro zum anderen erneut auf eine frische Leiche zu stoßen? Nein, diese Frau war nicht tot. Jetzt registrierte er das leichte Heben und Senken ihrer Schultern, hörte ihr leises Schnarchen. Unwin räusperte sich, doch die Frau rührte sich nicht. Er trat näher und spähte auf den Schreibtisch, um zu sehen, was sie geschrieben hatte.
Nicht einschlafen. Nicht einschlafen. Nicht einschlafen.
    Nicht einschlafen. Nicht einschlafen.
    Der Satz wurde eine halbe Seite lang wiederholt, doch zuletzt hatte sie geschrieben:
Nicht einschlafen. Nicht einschlafen. Nicht einschla
    Unwin nahm den Hut ab und räusperte sich noch einmal.
    Die Frau wand sich ein wenig auf ihrem Stuhl und ließ den Kopf von ihrer linken Schulter auf die rechte sinken. Ihr Haar löste sich aus der Nadel, mit der es festgesteckt gewesen war, und ein paar Strähnen blieben an ihrem Lippenstift kleben. Das Licht der Schreibtischlampe reflektierte auf ihrer Brille, weckte sie jedoch nicht. Sie begann noch lauter zu schnarchen.
    Unwin langte hinüber und drückte auf den Wagenlöser an ihrer Schreibmaschine. Die Walze fuhr mit einem lauten Rattern bis ans Ende der Zeile, und hell und klar ertönte das Glöckchen. Die Frau wachte auf und setze sich kerzengerade auf ihrem Stuhl auf. «Dazu kenne ich keine Lieder», sagte sie.
    «Lieder wozu?»
    Sie blinzelte hinter ihren Augengläsern, die für ihr mädchenhaftes Gesicht viel zu groß waren. Vermutlich war sie kaum älter als Unwin an seinem ersten Tag in der Agentur. «Sind Sie Detektiv Unwin?», wollte sie wissen.
    «Ja. Ich bin Unwin.»
    Sie erhob sich, schob sich das Haar aus dem Gesicht und steckte es wieder auf – nicht mit einer Nadel, wie Unwin jetzt erkannte, sondern mit einem gespitzten Bleistift. Sie sagte: «Ich bin Emily Doppel, Ihre Assistentin.»
    Sie strich sich über ihr blaues Wollkleid und fing an, die Papierknäuel von ihrem Schreibtisch in einen Papierkorb zu werfen. Ihre Hände zitterten ein wenig, und Unwin dachte, vielleicht sollte er den Raum verlassen und ihr eine Chance geben, sich zu fassen, doch während sie arbeitete, sprach sie schnell und ohne Pause, weshalb es ihm nicht gelang, sich zu entschuldigen. «Ich bin eine ausgezeichnete Sekretärin und übe so viel wie möglich», sagte sie. «Ich habe mich mit den wichtigsten Fällen der Agentur vertraut gemacht und auch nichts gegen Überstunden. Mein größter Fehler ist meine Anfälligkeit für plötzliche Schlafattacken. Mir ist durchaus bewusst, dass diese Neigung angesichts des vornehmsten Mottos der Agentur wie ein Hohn wirkt. Doch die ganze Arbeit, die ich bereits geleistet habe, um meine Schwäche aufzuwiegen, hat meine Entschlossenheit weit über die normalen Erwartungen hinaus gesteigert. Für das Schnarchen bitte ich schon im Voraus um Entschuldigung.»
    Alles, was nun noch auf ihrem Tisch verblieben war – abgesehen von der Schreibmaschine, dem Telefon und der Lampe –, war eine schimmernde schwarze

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