Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
gar keinen Unterschied, ebenso wenig wie die Frage, ob sie nass oder trocken waren. Sobald Unwins Füße in den Schuhen steckten und es sich um einen glatten, auf Hochglanz polierten Untergrund handelte, gaben sie ihr unangenehmes Geräusch zum Besten, und jeder konnte es hören.
    Zu Hause ging er immer auf Socken. Auf diese Weisestörte er seine Nachbarn nicht und konnte sich außerdem gelegentlich eine Rutschpartie über den Boden gönnen, zum Beispiel wenn er seine Hafergrütze zubereitete und Rosinen sowie braunen Zucker brauchte, die sich beide im Schrank am anderen Ende des Zimmers befanden. Auf Socken über eine Welt aus glänzenden Oberflächen zu sausen – das wäre es gewesen! Doch Unwins Wohnung war bestenfalls überschaubar, und die Welt meint es mit den Schuhlosen und Ausgelassenen nicht gut.
    Solange der Fahrstuhlführer zuschaute, konnte er die Schuhe nicht ausziehen. Unwins zusätzliche Fahrten an diesem Morgen waren verdächtig genug, auch wenn der kleine Mann nicht zu erkennen gab, dass er sich irgend etwas dabei dachte. Unwin ging deshalb schnurstracks vom Fahrstuhl weg und tat so, als würde er den Lärm, für den er verantwortlich war, nicht hören.
    Die Türen hier waren zahlreich und schmaler als im sechsunddreißigsten Stock, und in Ermangelung von Schildern waren die Namen einfach mit schwarzer Farbe auf die Milchglasfenster geschrieben. Aus den Büros kam das stetige Klappern von Schreibmaschinen, hie und da erklang gedämpftes und unverständliches Gemurmel. Bildete sich Unwin etwa nur ein, dass jeder die Stimme senkte, sobald er sich näherte?
    Zimmer 2919, das auf halber Länge des Flures lag, war nicht belegt – hinter dem Milchglas schimmerte bernsteinfarbenes Licht. Unwin berührte die Scheibe. Der Name, der hier gestanden hatte, war weggekratzt worden, und zwar erst kürzlich: Schwarze Farbreste klebten immer noch am Rahmen.
    Plötzlich wurde er einer räumlichen Übereinstimmung gewahr. Sein neues Büro in der Mitte des östlichen Flurs imneunundzwanzigsten Stock lag direkt über seinem alten Schreibtisch im vierzehnten und direkt unter Lamechs Büro im sechsunddreißigsten. Hätte man ein Loch senkrecht durch das Gebäude gebohrt und einen Penny von Lamechs Schreibtisch geschnippt, wäre er bei seinem Fall auf Unwins Schreibtisch zweiundzwanzig Stockwerke tiefer direkt durch Zimmer 2919 geschossen.
    Er stand immer noch dort, als die Tür hinter ihm sich öffnete und der Detektiv mit dem dünnen Schnurrbart und dem marineblauen Anzug heraustrat. Er wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, doch als er Unwin erblickte, verzogen sich seine bleichen Lippen zu einem angespannten Lächeln. «Ich hab Ihnen doch gesagt, dass Sie sich mit diesem Hut im sechsunddreißigsten Stock keine Freunde machen», sagte er. «Hier im Übrigen auch nicht.»
    «Tut mir leid», war alles, was Unwin als Antwort einfiel.
    «Okay, es tut Ihnen leid. Aber wer sind Sie?»
    Unwins Ausweis steckte in der Manteltasche, aber es war der Ausweis eines Schreibers, der auf diesem Stock nichts zu suchen hatte. Deshalb zeigte er ihm, zusammen mit seiner Dienstmarke, die Aktennotiz von Lamech. Der Detektiv schnappte sich beide, schaute auf die Dienstmarke, drückte sie Unwin wieder in die Hand und las langsam die Aktennotiz. «Die ist nicht an Sie gerichtet», sagte er und stopfte sie in seine eigene Tasche. «Das prüfe ich bei Mr. Lamech selbst nach.»
    «Ich glaube, Mr. Lamech möchte nicht gestört werden.»
    «Vielleicht nicht von einem Schreibertrampel.» Der Detektiv lachte hämisch. «Und dieser Typ soll Travis ersetzen!»
    Unwin machte den Mund auf, um zu protestieren, klappte ihn aber schnell wieder zu, als ihm bewusst wurde,was der Detektiv gesagt hatte. Er, Unwin, sollte Detektiv Sivart ersetzen? Er besaß weder die Ausbildung noch die Voraussetzungen, die für diese Tätigkeit nötig waren. Er war ein Schreiber – ein guter, gewiss, und einer, der unter seinen Kollegen für seine schlaue Gewitztheit, sein scharfes Auge und sein enzyklopädisches Wissen über die Elemente eines Falles wohl respektiert wurde. Er ließ nicht locker, was die Sache anging, war einsichtig, wenn es nötig wurde – aber nur Dingen gegenüber, die bereits zu Papier gebracht worden waren. Er war kein Sivart. Und was war eigentlich mit Sivart geschehen, wenn hier ein Ersatz für ihn gebraucht wurde?
    Der Detektiv deutete mit seiner unangezündeten Zigarette auf ihn. «Ich behalte dich im Auge, Nachbar», sagte er. Er zog das

Weitere Kostenlose Bücher