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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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er.
    «Wegen der rätselhaften Vorgänge», sagte Miss Truesdale. Ihre Stimme hatte einen ungeduldigen Tonfall angenommen. «Wenn ich in einem höheren Stockwerk untergebracht wäre, könnten sie vielleicht nicht herein.»
    «Wer könnte vielleicht nicht herein?»
    «Ich weiß es nicht!» Miss Truesdale schrie jetzt fast. Sie begann, an der schmalen Seite des Zimmers auf und ab zu gehen. «Jeden Morgen, wenn ich aufwache, bin ich umgeben … von allem möglichen Zeug. Leere Champagnergläser, Konfetti, Rosen. Solches Zeug. Die sind überall auf dem Boden und über meinem Bett verteilt. Es ist, als hätte jemand in meinem Zimmer eine Party geschmissen. Ich verschlafe alles, aber ich habe nicht das Gefühl. Ich habe den Eindruck, als hätte ich seit Jahren nicht mehr geschlafen.»
    «Champagnergläser, Konfetti und …»
    «Langstielige Rosen.»
    «… und Rosen, langstielig. Ist das alles?»
    «Nein, das ist nicht alles», sagte sie. «Das Fenster steht offen, und im Zimmer ist es eisig kalt. Alles ist feucht, eineschreckliche, kalte Feuchtigkeit. Ich halte es nicht mehr aus. Wenn das so weitergeht, verliere ich den Verstand, da bin ich mir sicher.» Sie riss die Augen weit auf. «Vielleicht habe ich ihn ja schon verloren, meinen Verstand. Ist das möglich, Mr. Lamech?»
    Unwin ignorierte ihre Frage – gewiss hätte Lamech darauf auch keine Antwort gewusst. «Ich bin mir sicher, wir können Ihnen helfen», sagte er, legte dann aber den Bleistift ab und schob den Notizblock von sich weg. Die Sache wuchs ihm bereits jetzt über den Kopf. Was wurde denn von einem Wächter erwartet?
    «Dann werden Sie ihn also schicken?», fragte Miss Truesdale.
    Ratlos schlug Unwin Lamechs Terminkalender auf. Er blätterte bis zum heutigen Datum vor. Unwins Name war mit Bleistift für einen Termin um zehn eingetragen. Er schaute auf seine Uhr. Lamech hätte ihn also in nur wenigen Minuten sprechen wollen.
    Miss Truesdale wartete noch immer auf eine Antwort.
    «Wir schicken jemanden», sagte er.
    Damit schien sie nicht zufrieden zu sein, und ihre Fingerknöchel wurden ganz weiß, als sie ihre Handtasche fester zusammenpresste. Sie wollte gerade noch etwas sagen, als aus der Wand neben dem Buchregal ein Quietschen kam. Sie schauten beide, woher das Geräusch kam. Vor seinem inneren Auge sah er jetzt eine riesengroße Ratte, die hinter der Vertäfelung hochkletterte, durch ihren unfehlbaren Geruchssinn von dem gewaltigen Leichnam angelockt, den Unwin unter dem Schreibtisch versteckt hatte. Das quietschende Geräusch bewegte sich bis fast zur Decke hoch, verstummte dann, und auf Lamechs Schreibtisch klingelte zweimal ein Glöckchen.
    «Wollen Sie nicht drangehen?», fragte Miss Truesdale.
    Unwin hob die Schultern, wie Mr. Duden es in unangenehmen Situationen des Öfteren tat. «Ich fürchte, ich muss Sie jetzt bitten zu gehen», sagte er. «Ich habe eine Verabredung, eine, die auf die übliche Weise getroffen wurde.»
    Sie nickte, als hätte sie damit schon die ganze Zeit gerechnet. «Das Gilbert, Zimmer 202. Sie werden es doch nicht vergessen?»
    Er schrieb das auf seinen Notizblock und las dann vor: «Gilbert, Zimmer 202. Und jetzt gehen Sie und ruhen sich ein bisschen aus, Miss Truesdale.» Er erhob sich und brachte sie zur Tür. Sie ging gehorsam mit, obwohl es den Anschein hatte, als wollte sie noch etwas sagen. Er mied ihren Blick und schloss, bevor sie noch einmal das Wort ergreifen konnte, die Tür und stand dann lauschend da. Er hörte, wie sie seufzte, hörte ihre unregelmäßigen Schritte, die sich auf dem Flur entfernten, und dann das Zischen, als sich die Fahrstuhltür öffnete und wieder schloss.
    Erneut läutete das Glöckchen.
    Er ging zur Wand und strich mit der Hand darüber. Sie fühlte sich kühl an. Er legte ein Ohr an die Tapete und hielt die Luft an. Aus den unsichtbaren Tiefen des Gebäudes kam ein dumpfes Heulen, wie der Wind, der sich in einem Tunnel oder Lichtschacht gefangen hat. Was war wohl dort unten verborgen? Unwin erinnerte sich an etwas, das Sivart in den Berichten über die drei Tode des Colonel Baker, über den Landsitz des Ärmsten geschrieben hatte:
Es gibt mehr Geheimgänge als echte Flure, und jeder Spiegel ist ein Einwegspiegel. Um die Tür zur Bibliothek zu öffnen, musste ich einer Ritterrüstung die Hand schütteln, man stelle sich das mal vor! Diese alten Knaben lieben solche Spielchen.
    Konnte man das Gleiche von Mr. Lamech behaupten? Unwin ging zum Bücherregal und begann es abzusuchen. Die

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