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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Bücher waren mit römischen Ziffern gekennzeichnet und in alphabetischer Reihenfolge sortiert; vielleicht handelte es sich um Handbücher zu irgendeinem weitläufigen und verzwickten Fachgebiet. Doch er musste das Thema gar nicht kennen, um zu finden, wonach er suchte: einen Band, dessen Rücken vom häufigen Gebrauch ganz abgegriffen war. Er zog ihn heraus, und auf der Stelle öffnete sich eine Klappe in der Wand und gab den Blick auf einen Miniaturfahrstuhl frei. Drinnen lag ein brauner, quadratischer Umschlag mit einer Seitenlänge von dreißig Zentimetern. Daran hing ein Zettel.
Edward
,
    hier ist Ihre besondere Bestellung. Hab nicht reingeschaut. Aber wenn Sie mich fragen – Tote soll man nicht wecken.
    Küsschen,
Miss P.
    Dass in der Agentur ein Speisenaufzug benutzt wurde, war für Unwin eine Überraschung. Nach seinem Kenntnisstand musste jede Nachricht, ganz gleich wie belanglos sie war, durch einen Boten überbracht werden. In der Telefonzentrale war es noch nicht einmal möglich, einen Angestellten mit einem anderen zu verbinden – es war Vorschrift, die Telefone nur für Auswärtsgespräche zu benutzen. Um was für eine besondere Bestellung konnte es sich hier wohl handeln, wenn sie mit einem solch außergewöhnlichen Beförderungsmittel im Zimmer eines Toten landete?
    Der Umschlag war schwer, ließ sich nicht knicken und trug kein Siegel. Hatte Lamech vielleicht vorgehabt, ihmden Umschlag zu überreichen, wenn sie sich trafen? Unwin fuhr mit einem Finger unter die Klappe und riss sie auf.
    Drinnen lag eine Art Schallplatte. Im Gegensatz zu denen, die man in Plattenläden kaufen konnte, war sie weiß, fast durchscheinend, und trug in der Mitte das Markenzeichen der Agentur, das geöffnete Auge, und das Loch in der Mitte fungierte als Pupille. Als er genauer hinschaute, sah er eine Reihe von Buchstaben und Nummern, die in den Mittelteil am Ende der Rille eingraviert waren. Die drei Buchstaben TTS am Anfang kannte er schon seit zwanzig Jahren, sieben Monaten und einigen Tagen, denn sie standen auf jedem Bericht, der über seinen Schreibtisch ging. Sie standen für Travis T. Sivart.
    Erneut klingelte das Glöckchen, und der Aufzug versank wieder dorthin, wo er hergekommen war. Unwin schloss die Klappe. Er fühlte sich wieder ganz wie ein Schreiber: gefasst, zu allem bereit, in das versunken, was es über eine Sache zu wissen gab, aber nicht in die Sache selbst. Er kehrte an Lamechs Schreibtisch zurück, riss das Blatt mit den Notizen zu seinem Gespräch mit Miss Truesdale ab und steckte es in die Tasche.
    Er schaute aufs Telefon. Warum hatte jemand das Telefon ausgestöpselt? Unwin schob den Stecker in die Dose und knipste die Schreibtischlampe aus.
    Die Schallplatte, das wusste er, war ein Beweisstück vom Tatort eines Verbrechens, und sie zu entwenden, würde ein weiteres Vergehen bedeuten. Doch einen Moment später war Lamechs Tür geschlossen, der Fahrstuhl auf dem Rückweg in den sechsunddreißigsten Stock, und die Platte steckte direkt neben seiner Ausgabe des
Handbuchs für Detektive
in Unwins Aktentasche.
    Wie war ein solches Fehlverhalten zu rechtfertigen?
    Wenn es um Sivarts Fälle ging, so dürfte es uns nicht überraschen, dass Unwins Verantwortungsbewusstsein beinahe an Habgier grenzte. Sollte der Schreiber des «Detektivs aller Detektive», wenn er auf Informationen stieß – ganz gleich, in welch sonderbarer Form –, deren Sichtung, Bearbeitung und Bewahrung seine ureigenste Aufgabe war, einfach weggehen und diese zurücklassen, als hätte Sivarts letzter Fall gar nicht existiert? Eine andere Akte hätte Unwin vielleicht vernachlässigen können. Doch auch der unbedeutendste Bericht hätte ihn irgendwann, in jenen Momenten kurz vor der Abenddämmerung, wenn sich die Stadt in Schatten hüllte, verfolgt.
    Unwin hatte solche Abende durchaus schon erlebt; und er konnte gern auf sie verzichten. Als der Fahrstuhl kam, sagte er dem Fahrstuhlführer, er solle ihn in den neunundzwanzigsten Stock bringen. Er wollte sich sein neues Büro anschauen.
     
    Im neunundzwanzigsten Stock wieder ein langer Flur, wieder ein einziges Fenster an seinem Ende. Doch statt des Teppichs, wie im sechsunddreißigsten, war da eine polierte Fläche aus dunklem Holz, so makellos und glatt, dass sie glänzte wie eine Flüssigkeit. Beim Anblick des Bodens musste Unwin kurz innehalten. Es war sein ganz persönlicher Fluch, dass seine Schuhe auf gebohnerten Böden quietschten. Was für eine Art Schuhe er trug, machte dabei

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