Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
irgendwo auf dem Lande, in dem er seine Memoiren schreiben würde. Unwin hatte es überrascht, wie detailliert Sivart sich das alles ausgemalt hatte: Er schwärmte von einem kleinen weißenCottage im Wald, am nördlichen Ende einer Stadt am Fluss; von einem Hang, der mit Brombeerbüschen überwuchert war; einer Schaukel; einem Teich. Und auch einen Pfad, der in den Wald führte, gab es.
Ein wundervoller Platz, um ein Nickerchen zu machen
, hatte er geschrieben.
    Unwin wusste, dass Sivart vielleicht niemals den Weg zu diesem Häuschen gefunden hatte. Etwas Schreckliches konnte geschehen sein – warum sonst lag wohl eine Leiche im sechsunddreißigsten Stock?
    Als hätte sie den gleichen Gedanken gehegt wie Unwin, sagte Emily: «Es gibt keine offizielle Erklärung für sein Verschwinden.»
    «Gibt es denn eine inoffizielle Erklärung?»
    Hierüber runzelte Emily die Stirn. «Sir, so etwas wie eine inoffizielle Erklärung existiert gar nicht.»
    Unwin nickte und musste schlucken, weil seine Kehle ganz trocken geworden war. Er musste aufpassen, was er sagte, selbst wenn er mit seiner Assistentin sprach.
    Emily knipste die Schreibtischlampe an, und jetzt erblickte er den Aktenschrank aus Holz, Stühle für Besucher, leere Bücherregale und einen altersschwachen Ventilator in der Ecke. Er stellte seine Aktentasche auf den Boden und setzte sich. Der Stuhl war zu groß für ihn und der Schreibtisch absurd ausladend. Er stellte die Schachtel mit seiner Dienstmarke und der Pistole neben die Schreibmaschine.
    Emily stand, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, vor ihm und wartete. Was würde sie tun, wenn sie erst einmal gemerkt hatte, dass seine Identität als Schreiber keine Tarnung war? Der Lavendelduft ihres Parfüms, der sich mit dem Geruch von Sivarts Zigarren mischte, kitzelte Unwin in der Nase, und ihm wurde ein wenig schwindelig. Er versuchte, sie mit einem höflichen Nicken nach draußen zukomplimentieren, doch Emily nickte nur zurück. Sie hatte nicht die Absicht, zu verschwinden.
    «Nun», sagte er, «ich gehe davon aus, dass Sie die übliche Ausbildung der Agentur genossen haben, ebenso wie jegliche Ausbildung, die für Ihre besondere Position vonnöten ist.»
    «Natürlich.»
    «Dann können Sie mir sicher sagen, was ich von Ihnen derzeit erwarten kann.»
    Wieder zog sie die Stirn in Falten, nur war ihr Blick jetzt finsterer, argwöhnischer. Unwin begriff, dass sich seine Assistentin auf diesen Tag, der seit Langem wieder ihr erster Arbeitstag war, gefreut hatte. Er riskierte, sie zu enttäuschen. Und es wäre gefährlich, dachte Unwin, sie zu enttäuschen.
    In diesem Augenblick änderte sie jedoch ihre Meinung zu dem, was geschah, und schien plötzlich erfreut. «Ach, Sie stellen mich auf die Probe!», rief sie.
    Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, als versuchte sie, etwas, das auf der Innenseite ihrer Augenlider stand, zu lesen. Sie zitierte: «‹Am ersten Tag, wenn in einem neuen Fall ermittelt wird, teilt der Detektiv seiner Assistentin all die Einzelheiten mit, von denen er meint, dass sie sie wissen sollte. Im Normalfall gehören dazu wichtige Kontakte und Daten, ebenso wie Informationen aus damit verknüpften Fällen, die aus den Archiven angefordert werden.›»
    Unwin lehnte sich in dem riesigen Stuhl zurück. Er dachte wieder an die aufgedunsene Leiche dort oben, jenes groteske Sinnbild ungelöster Fragen. Er hatte das Gefühl, das Ding sei ihm auf den Rücken gekrochen und würde ihn, wenn er es nicht vorher abschüttelte, mit in sein Grab hinabziehen. Was war das für ein Fall, den Lamech für ihn vorgesehenhatte? Was auch immer es war, Unwin wollte damit nichts zu tun haben.
    Er sagte: «Ich sehe, dass Sie einen scharfen Verstand haben, Emily, weshalb ich Ihnen vertrauen kann. Sie vermuten ganz richtig, dass dies hier eine innere Angelegenheit ist. Der vorliegende Fall, Nummer CEU001, stellt genau den Grund dafür dar, warum ich hier bin. Unsere Aufgabe ist einfach: Detektiv Travis T. Sivart zu finden und ihn davon zu überzeugen, so schnell wie möglich wieder zu seiner Arbeit zurückzukehren.» Noch während er sprach, nahm in ihm ein Plan Gestalt an. Vielleicht konnte er mit Emilys Hilfe ja so lange vorgeben, er wäre ein Detektiv, bis es ihnen gelungen war, Sivart zur Agentur zurückzubringen. Dann würde
er
sich des Rätsels um die Leiche des Wächters annehmen, des Rätsels um die langstieligen Rosen von Miss Truesdale und um die Schallplatte, die er in Lamechs Büro

Weitere Kostenlose Bücher