Handbuch für Detektive - Roman
Colonel Baker sprach zwar voller Stolz darüber, hütete sie jedoch mit einem Argwohn, der deutlich an Eifersucht grenzte.
In seinem Testament hatte der Colonel all seinen Besitz an seinen Sohn Leopold vermacht. Doch es gab eine Bedingung: Die kostbare Sammlung des Colonels sollte als Ganzes in der Familie bleiben.
Ein Geschäftsmann, der kein Händchen für Geschäfte hat.
So hatte Sivart Leopold Baker beschrieben. Als der Colonel starb, hatte sein Sohn die beachtliche Summe, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, nur allzu gerne entgegengenommen. Weniger glücklich machte ihn allerdings die Nachricht, dass er auch die Sammlung geerbt hatte. Allzu lebhaft stand Leopold noch jener Nachmittag im Gedächtnis, als er, ein etwa zwölfjähriger Junge, seinen Vater beim Waffenpolieren unterbrochen und ihn gebeten hatte, mit ihm eine Runde Fangball zu spielen. «Das», hatte der Colonel zu ihm gesagt und ihm eine lange, schmale Klinge unter die Nase gehalten, «ist eine Miséricorde. Im Mittelalter stießen die Fußsoldaten sie zwischen die Panzerplatten der Rüstung gefallener Ritter, sobald die Schlacht vorüber war, um herauszufinden, wer wirklich tot war und wer es nur vorgab. Denk daran, wenn du heute Nacht schläfst.»
Das Testament hatte keinerlei Konsequenzen für den Fall einer Missachtung der Wünsche des Colonel, sodass die Auktion schon begann, als er gerade erst drei Tage unter der Erde lag. Sie war gut besucht, der Saal mit vielen Historikern,Museumskuratoren und Militärbegeisterten gefüllt, die der Colonel in all den Jahren so verächtlich zurückgewiesen hatte. Kaum hatte das Bieten eingesetzt, war ein Stück nach dem anderen an denselben fremden Gentleman gegangen, der mit einem schwarzen Tuch vor dem Gesicht ganz hinten im Saale saß. Man munkelte, es handele sich um einen Vertreter Enoch Hoffmanns, dessen Vorliebe für Antiquitäten wohlbekannt war. Auch Leopold hegte diesen Verdacht, hatte jedoch nichts dagegen, denn die Taschen des Fremden schienen keinen Boden zu haben.
Am Ende der Auktion war der Gentleman mit Leopold zusammengetroffen, um seine Rechnung zu begleichen. Erst da lüftete er das schwarze Tuch und gab sich als Colonel Baker zu erkennen. Der alte Mann war keineswegs gestorben, sondern hatte seinen Tod nur vorgetäuscht, um die Treue seines Sohnes auf die Probe zu stellen. Der Colonel hatte sein Testament für ungültig erklärt – schließlich war er putzmunter – und verlangte nun alles zurück, von dem Leopold geglaubt hatte, es gehöre ihm.
An diesem Punkt war Sivart ins Spiel gekommen. Sein Bericht begann mit den Worten:
Der Auftrag lag gleich heute Morgen auf dem Schreibtisch. Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich damit gerechnet. Wenn ein Mann einen solchen Trick versucht, spricht sich das herum. Und wenn es sich herumgesprochen hat, dann gerät jemand in Schwierigkeiten. Heute in den frühen Morgenstunden wurde nämlich der Leichnam des Colonel auf dem Boden seiner Bibliothek entdeckt, mit ganzen acht Stichwunden. Bei der Waffe handelte es sich um die Miséricorde aus seiner eigenen Sammlung. Der gefallene Betrüger ist selbst zur Strecke gebracht worden.
Mein Mandant? Leopold Baker, Hauptverdächtiger.
Es war das erste Mal, dass Sivart mit der Aufgabe betraut worden war, jemandes Unschuld zu beweisen, und Unwinspürte, dass der Auftrag ihm schlechte Laune bereitete. Sivart ließ sich Zeit, um auf das Anwesen der Bakers zu gelangen, und seine Untersuchung des Leichnams war flüchtig.
Ja
, schrieb er,
tot.
Ich sagte ihnen, sie sollten die Leiche liegen lassen, wo sie war, und ging spazieren. So viele Geheimnisse auf einmal bereiteten mir Kopfzerbrechen. Durch eine Falltür unter der Statue im Foyer, eine Treppe hinter einem Regal im Weinkeller hoch, dann durch den Tunnel unter dem Treibhaus: So weit musste ich gehen, um einen halbwegs gemütlichen Stuhl zu finden, wahrscheinlich den einzigen im ganzen Haus.
Er stand im Arbeitszimmer des Colonels, dort, wo ich auch den Whiskey fand und auf den ersten wirklich interessanten Aspekt dieses Falles stieß.
Im Schreibtisch entdeckte Sivart die handschriftlichen Aufzeichnungen des Colonels aus seiner Zeit beim Militär. Hier enthüllte der Colonel auch das Geheimnis der Schlachtfeldtechnik, die ihm so viel Ruhm eingetragen hatte. Er schien deshalb an zwei Orten gleichzeitig auftauchen zu können, weil er ein Double hatte, einen Bruder namens Reginald, dessen Identität vor dem militärischen Führungsstab geheim gehalten worden
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