Handyman Jack 01 - Die Gruft
sahen sie zu, wie der Verkehr aus dem dunklen Loch unter ihnen herausschoss und sich über den Highway von ihnen weg bewegte. Mit einer Hand im Kragen von Eds Anorak, um ihm Halt zu geben, beobachte Jack über seine Schulter hinweg den heranbrausenden Verkehr.
Durch den fortwährenden Schneefall war der Verkehr langsamer und geringer geworden. Auf der linken Fahrspur hatte sich Matsch gebildet und niemand benutzte sie, aber die mittlere und die rechte Fahrspur waren immer noch dicht befahren, meist mit sechzig bis siebzig Stundenkilometern. Jack sah die Scheinwerfer und die Begrenzungslichter eines Containerwagens auf der rechten Fahrspur näherkommen. Als sie sich die Überführung erreichten, gab er Ed einen leichten Schubs.
Er stürzte langsam graziös nach vorn und einen kurzen Moment lang übertönte sein panisches Blöken den Verkehrslärm unter ihnen. Jack hatte die Länge des Seils genau abgemessen. Ed fiel mit den Füßen voran, bis das Seil straff gespannt war, dann wurden seine Füße nach oben gerissen und der Rest des Körpers kippte nach unten weg. Eds Kopf und sein Oberkörper schwangen über das Führerhaus des sich nähernden LKW hinweg und prallten mit einem fetten Klatschen gegen den Aufbau des Containers, dann holperte und polterte der Körper über das Dach weg und baumelte und pendelte an dem Seil um seine Füße unkontrolliert in der Luft, als der Laster unter ihnen vorbei war.
Der LKW fuhr weiter. Sicherlich hatte der Fahrer bemerkt, dass etwas seinen Laster getroffen hatte, aber wahrscheinlich hatte er das für eine Ladung Schneematsch gehalten, der sich von der Überführung gelöst hatte und auf dem Container gelandet war. Ein weiterer LKW rollte auf die Überführung zu, aber Jack wartete den zweiten Aufprall nicht ab. Er ging zu Eds Wagen hinüber und holte den Ziegelstein aus dem Kofferraum. Auf dem Weg zu seinem Wagen, den er in einiger Entfernung abgestellt hatte, warf er den Steinklotz in ein Feld. Es würde keine Verbindung zum Tod seiner Mutter und damit auch keine Verbindung zu ihm geben.
Es war vorbei.
Er fuhr nach Hause und legte sich ins Bett, mit der sicheren Überzeugung, dass er am folgenden Tag sein Leben dort weiterführen konnte, wo er aufgehört hatte.
Er hatte sich geirrt.
Am folgenden Tag schlief er bis in den Nachmittag hinein. Als er erwachte, legte sich die Ungeheuerlichkeit dessen, was er getan hatte, tonnenschwer auf ihn. Er hatte getötet. Schlimmer als das: Er hatte einen anderen Menschen hingerichtet.
Er war versucht, sich auf Unzurechnungsfähigkeit zu berufen und zu behaupten, das da auf der Überführung sei nicht er, sondern ein Monster in seiner Haut gewesen. Jemand anderes hatte die Kontrolle über ihn übernommen.
Es funktionierte nicht. Es war nicht jemand anderes gewesen. Er war es. Jack. Niemand sonst. Und er war auch nicht benebelt oder weggetreten oder vor Wut irrsinnig gewesen. Er erinnerte sich in aller Klarheit an jedes Detail, jedes Wort, jede Bewegung.
Keine Schuld. Keine Gewissensbisse. Das war das wirklich Erschreckende daran: Die Erkenntnis, dass er, wenn er noch einmal zurückgehen und das alles noch einmal erleben könnte, nicht das Geringste ändern würde.
An diesem Nachmittag, während er gebeugt auf der Bettkante kauerte, begriff er, dass sein Leben nie mehr das gleiche sein würde. Der junge Mann, der ihm heute aus dem Spiegel entgegenblickte, war nicht der gleiche, den er dort gestern gesehen hatte. Alles wirkte plötzlich anders. Die Winkel und Kanten seiner Umgebung hatten sich nicht verändert, die Gesichter und die Gebäude und die Landschaft blieben topografisch gleich. Aber irgendwie hatte sich der Blickwinkel geändert. Es gab Schatten, wo vorher Licht gewesen war.
Jack ging zurück zur Uni, aber der Abschluss schien ihm sinnlos. Er konnte mit seinen Freunden zusammensitzen und mit ihnen trinken und lachen, aber er fühlte sich nicht mehr dazugehörig. Es bestand eine Barriere zwischen ihnen. Er konnte sie immer noch sehen und hören, aber er konnte sie nicht mehr berühren, so als habe sich eine gläserne Wand zwischen ihn und alles, was er kannte, geschoben.
Er suchte nach etwas, dass ihm diese Dinge erklären konnte. Er arbeitete sich durch den existenzialistischen Kanon und verschlang Camus, Sartre und Kierkegaard. Camus schien die Fragen zu kennen, die sich Jack stellte, aber er gab keine Antworten.
Jack schwänzte die meisten seiner Kurse in diesem Semester. Er entfremdete sich von seinen Freunden. Im Sommer
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