Handyman Jack 04 - Tollwütig
faltete seine Pappkartonunterlage zusammen und wanderte nach Westen. Er betrat den Central Park in der Eighty-sixth Street und ging über die große Wiese. Dabei hielt er die Semmerling schussbereit in der Hand – für den Fall, dass irgendeine Intelligenzbestie die grandiose Idee bekam, dass ein Obdachloser ein leichtes Opfer wäre. Doch er erreichte die strahlenden Lichter von Central Park West ohne Zwischenfall.
Zurück in seiner Wohnung zog er sich aus, duschte, dann schaltete er den Projektionsfernseher anlässlich des Beginns des Moreau-Festivals ein – nicht Jeanne… Dr. Moreau. Jack hatte die Bänder in chronologischer Folge eingelegt. Unglücklicherweise bedeutete dies, den besten Film zuerst abzuspielen. Insel der verlorenen Seelen mit Charles Laughton, Bela Lugosi und Arien war einer seiner Lieblingsfilme und sicherlich der Beste aus dem Moreau-Zyklus. Trotz des unverständlichen ungarischen Akzents seiner Mensch-Wolf-Figur war Bela als Verkünder des Gesetzes unerreicht.
»Kein Blut vergießen! Das ist das Gesetz! Sind wir nicht Menschen?«
Und dann die geknurrte Antwort aus Dutzenden von rauen Kehlen, die nicht für menschliche Sprache geschaffen waren… »Sind wir keine Menschen?…«
Aber die Erschöpfung behielt die Oberhand. Er schlief ein, als Charles Laughton sich durch seinen lächerlichen kleinen Schnurrbart über »das widerspenstige Fleisch, das immer wiederkehrt« beklagte.
Irgendwo in Jacks Traum tauchte auch Sal Vituolo als Verkünder des Gesetzes auf und rief in einem fort: »Sind wir nicht Menschen?… Sind wir nicht Menschen?…«
Freitag
1
»Lieber Himmel!«
Es hatte sich verändert.
Nadia saß auf der Kante ihres Bettes und starrte auf den Ausdruck in ihren zitternden Händen.
Das Diagramm der Molekularstruktur Lokis – es sah anders aus, es war anders. Sie konnte nicht genau sagen, wie, aber sie wusste, dass einige der Seitenketten, die gestern Nachmittag noch vorhanden gewesen waren, an diesem Morgen fehlten. Und sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie sie ausgesehen hatten.
Sie hatte am Vorabend, als sie nach Hause kam, die Ausdrucke überprüfen wollen, hatte es jedoch vergessen. Vielleicht hatte sie es gar nicht der Mühe wert gehalten, oder vielleicht hatte sich in ihrem Unterbewusstsein die Überzeugung festgesetzt, dass Dr. Monnet sich mit ihr einen Scherz erlaubte. In Nadias Welt veränderten Diagramme sich nicht von selbst.
Bis jetzt.
Nein-nein-nein. Glaub es nicht. Das ist unmöglich.
Augenblick mal. Sie hatte auch die empirische Formel ausgedruckt und sich eingeprägt. Sie holte das Blatt Papier aus ihrer Schultertasche und faltete es auseinander. Die Formel lautete »C24H34O4«. Aber das war falsch. Sie war sicher, dass es C27H40O3 geheißen hatte. Oder waren es sechs Sauerstoffatome gewesen? Verdammt! Sie war sich nicht sicher. Und so kannte sie sich gar nicht.
Sie verglich die Summenformel mit der Molekularstruktur – beides passte perfekt zusammen.
Sie schloss die Augen, als die Benommenheit sie zu übermannen drohte. Das kann nicht sein. Es ist ein übler Trick. Was sonst?
Irgendwie hatte jemand es geschafft, sich ihrer Tasche zu bemächtigen und die Ausdrucke auszutauschen. Aber wer? Und wann? Sie hatte die Ausdrucke angefertigt, kurz bevor sie am Vortag GEM verlassen hatte, und seitdem hatte sie die Tasche nicht aus den Augen gelassen. Und warum sollte sich überhaupt jemand all diese Mühe machen?
Aber ein Austausch erklärte nicht ihre Erinnerungslücke. Selbst an einem schlechten, stresserfüllten Tag wäre sie fähig, sich zumindest an eine fehlende Seitenkette zu erinnern, doch an diesem Morgen war da absolut nichts in ihrem Gedächtnis.
Eine seltsame Mischung aus Unbehagen und Erregung durchströmte sie. Hier ging etwas sehr Seltsames vor. Das Molekül – Loki – hatte etwas Einzigartiges an sich. Es hatte Wirkungsweisen, die sie nicht erklären konnte, die ihr jedoch nicht verborgen bleiben mussten. Bei GEM verfügte sie über die technischen Möglichkeiten, seine Rätsel wenigstens zum großen Teil zu enthüllen. Das wäre eine bahnbrechende Arbeit. Sie dachte an all die Aufsätze über Loki, die sie veröffentlichen würde, an die
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