Handyman Jack 05 - Todesfrequenz
entscheidet sich für die Straße und schiebt seinen beladenen Einkaufswagen durch die Schwingtüren. Er wird morgen mit dem Supermarkt abrechnen. Wahrscheinlich dauert es ein bis zwei Stunden, bis die Spuren des Geschehens beseitigt sind. Er möchte eigentlich nur schnell nach Hause zurück.
Vor einem halben Jahr hätte eine Szene wie diese ihn zutiefst erschüttert. Jetzt… empfindet er nichts. Er hatte die zweifelhafte Ehre, schon vorher bei zwei anderen Kamikaze-Inszenierungen zugegen zu sein, aber er war noch nie so nahe dran gewesen. Die Vorgehensweise des Bienenstocks ist im Großen und Ganzen immer die gleiche: Man findet einen dicht bevölkerten Platz und versucht, die Infektion heimlich zu verbreiten – durch Husten, durch Niesen oder indem man Speichel auf Gemüse sprüht – und geht, wenn man erwischt wird, in einem wahren Regen von Körperflüssigkeiten unter. Das ist reinster Pragmatismus: Man opfert einen aus der Gemeinschaft, um die Gelegenheit zu erhalten, Dutzende andere anzustecken.
Der Bienenstock agiert nach einem unbarmherzigen Pragmatismus. Das ist der Schlüssel seines Erfolgs.
Einen halben Block vom Supermarkt entfernt hält er an und nimmt die Atemmaske ab. Er zieht seine Windjacke aus und breitet sie über den Einkaufswagen. Der Novemberwind peitscht auf ihn ein, doch sein Flanellhemd mildert seine Attacken. Er holt die Glock aus dem Nylonhalfter auf dem Rücken und legt sie offen sichtbar auf die Jacke. Dann setzt er seinen Weg fort.
Dieser graue, eintönige, windige Herbsttag passt zu der Trostlosigkeit, die Jack empfindet. Er wünscht sich, die Sonne stünde am Himmel – um seine Haut zu wärmen und, vielleicht, auch ein wenig von der Kälte aus seiner Seele zu vertreiben. Der Sonnenschein würde jedoch auch mehr Menschen herauslocken – vielleicht glauben sie, dass es gesund ist, dass die zusätzliche UV-Strahlung Erreger abtötet – und Jack hat die Straßen am liebsten, wenn sie so verlassen sind wie jetzt, vor allem wenn er mit einer Ladung Lebensmittel unterwegs ist. Trotzdem arbeiten seine Sinne mit äußerster Wachsamkeit.
Vor sich sieht er ein vage vertrautes Gesicht, einen flüchtigen Bekannten, der sich ihm nähert.
»Hey«, sagt der Mann und beäugt grinsend Jacks Einkaufswagen. Unmöglich für ihn, die Glock zu übersehen. »Haben Sie noch etwas für mich übrig gelassen?«
»Mehr als genug«, erwidert Jack. »Aber Sie sollten sich Zeit lassen. Eine Kamikaze hat da drin gerade ihre Nummer abgezogen.«
»Scheiße!«, schimpft der Mann. »Sie wissen auch nicht, wann es Zeit wird aufzuhören. Sie wissen doch, dass wir den Impfstoff haben. Warum versuchen sie es immer wieder?«
»Nur weil ihnen jede Menge Gehirnmasse zur Verfügung steht, müssen sie nicht unbedingt gescheit sein.«
Der Mann findet das nicht besonders lustig. Jack auch nicht, aber es ist besser, als über das Gerücht zu reden, dass der Impfstoff nicht das ist, was er anfangs zu sein schien, und dass er überall im Land versagt. Was von der amerikanischen Regierung noch übrig ist, erklärt, dass dies eine Lüge ist, die von den Infizierten verbreitet wird, um die Nichtinfizierten zu demoralisieren. Doch niemand weiß, wem man Glauben schenken kann.
»Ich denke, ich gehe zum Supermarkt und warte draußen, bis sie aufgeräumt haben.«
Jack verabschiedet sich und schaut ihm nach. Sobald er sicher sein kann, dass der Mann nicht plötzlich kehrtmacht und ihn von hinten attackiert, setzt er seinen Heimweg fort. Er weiß, dass er schon immer ein wenig paranoid war, aber noch vor einem Jahr hätte er die Glock im Halfter gehabt und sich keine Sorgen gemacht, wegen seiner Lebensmittel überfallen zu werden. Wie heißt es so schön? Man ist nicht paranoide, wenn sie tatsächlich hinter einem her sind. Und das sind sie. Und wie sie das sind!
Jack kann geradezu körperlich spüren, wie die Fäden des sozialen Geflechts nach und nach reißen.
Das Vertrauen ist verschwunden, weil jeder, der beste und älteste Freund, der liebste und engste Angehörige, den Virus in sich tragen kann. Schlimm genug, dass sie infiziert sind – das ist nicht ihre Schuld –, aber weniger als eine Woche nach der Übertragung verwandeln sie sich in Wesen, die an nichts anderes denken, als die Infektion, egal an wen, weiterzugeben.
Mitgefühl ist ein Ding der Vergangenheit. Klar, man hat Mitleid mit den Opfern des Virus –
nachdem
sie gestorben sind.
Jack weiß nicht, wie es im Land aussieht, doch der Gemeinschaftssinn, der
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