Hanibal
gezeigt, daß sie die Stärkeren sind? Hast du nicht überlegt, wie viele Schiffe aus Iberien und Gallien, aus Hellas und von jenseits der Säulen des Melqart im Winter in den Hafen eingelaufen sein können? Ich selbst habe eine Flotte mit achttausend iberischen Kämpfern gesehen.«
Naravas schüttelte trotzig den Kopf. »Es bleibt dabei – sie sind wehrlos, solange sie keinen Kopf haben, der die kämpfenden Gliedmaßen lenkt. Nein, Hellene – ganz Libyen hat sich erhoben, um mit den Söldnern des großen Kriegs Qart Hadasht zu plündern und zu vernichten. Vieles an dem, was du sagst, läßt mich zögern. Aber mein Volk und ich werden nicht abseits bleiben, wenn die Reichtümer und die künftige Macht verteilt werden. Und« – er holte tief Luft – »wenn wir als erste in der Stadt wären, könnte es gelingen, Salambua und Hannibal …«
»Auch der Bruder ist in deinem Herzen?«
Naravas nickte; für einen Moment leuchteten seine Augen.
»Er wird einer der größten Fürsten unter den Männern werden – wenn er lebt.«
»Und du glaubst, der Sohn des Mannes, der Rom getrotzt hat, wird Freundschaft empfinden für einen, der sein Salz verrät und Hamilkars Stadt zerstört? Die Tochter des großen Strategen soll sich in das Bett des Mannes schmiegen, der ihr Haus und ihre Heimatstadt niederbrennt?«
Der junge Numider schlug die Hände vors Gesicht.
»Hamilkar«, murmelte er. »Ihn habe ich immer bewundert. Ich wollte unter ihm kämpfen, aber der Krieg war zu Ende, ehe ich nach Sizilien gelangen konnte. Wenn Qart Hadasht doch nur ihm den Befehl überließe…«
Antigonos streckte die Hände aus und drehte die Handflächen nach oben. »Schau her, Numider«, sagte er scharf, im Tonfall eines punischen Offiziers. Naravas zuckte zusammen und blickte auf die leeren Handflächen.
»Du siehst nichts, nicht wahr? Dies ist Qart Hadashts beste Waffe – unsichtbar und tödlich.« Er ballte die Fäuste. »Sie wird dich und alle anderen zerquetschen und zermalmen. Es ist die Furcht, kleiner numidischer Reiter – die Furcht vor dem uralten mächtigen Qart Hadasht, das euch so lange beherrscht hat. Und die Furcht vor einem Namen. Dem Namen eines Mannes. Wenn es ans Sterben geht, Numider, denk an meine Worte. Lange bevor der erste von euch die große Isthmos- Mauer berührt, wird Qart Hadasht sich dem Befehl dieses einen Mannes unterstellen. Die Punier waren nicht wahnsinnig genug, ihm den Befehl im römischen Krieg vorzuenthalten – und du armer Fürst von wilden Reitern auf struppigen Pferden glaubst, sie wären so wahnsinnig, in der Stunde der äußersten Not lieber zu sterben, als Hamilkar den Blitz auf euch loszulassen und euch zu zerschmettern? Seid ihr denn größer als Rom?«
Im Feuer knisterte und knackte das Holz. Kehlige Stimmen drangen von jenseits der versengten Mauer zu ihnen. Pferde schnaubten und wieherten.
Naravas schwieg lange. Endlich blickte er auf. Sein Gesicht war entspannt. »Wir reiten«, rief er zu den Mauerresten hinüber. Jemand auf der anderen Seite gab den Befehl weiter. Naravas erhob sich, streckte die Hand aus und zog Antigonos auf die Beine.
»Wenn wenn wenn«, sagte er. »Wenn Hamilkar den Befehl erhält und siegt, werden meine zweitausend Reiter und ich an seiner Seite sein. Nicht für Qart Hadasht, Hellene – für den Blitz! Wenn nicht, werde ich versuchen, im brennenden Qart Hadasht der erste zu sein, der den Palast in der Megara erreicht, um ihn zu schützen. Du hast eine gefährliche Zunge, Hellene. Und du bist ein tapferer Mann. Das Messer sitzt an deiner Kehle – aber du hast kein Wort über dich verloren. Ich achte das und werde es bewahren. Du reitest mit.«
Naravas war der jüngere Bruder des Königs der Massyler, Gya. Von diesem war er mit zweitausend Reitern ausgeschickt worden, um die Lage zu erkunden und dann zu entscheiden, was für die östlichen Numider das Beste sei. Gya selbst hütete mit seiner Hauptmacht das Land und die Herden; die Nachbarn im Westen, die Masaesyler südlich der punischen Küstenstadt Siga, neigten nach Naravas’ Auskunft dazu, offene Türen in einem vorübergehend verlassenen Haus als Aufforderung zum Einzug zu betrachten.
Zu Antigonos Verblüffung ritten sie nach Südwesten, fort von Qart Hadasht, den Söldnern und den belagerten Städten Ityke und Hipu. Abends überquerten sie eine Straße. Die Gegend schien nicht unter dem Krieg gelitten zu haben; es gab weder zerstörte Gehöfte noch niedergebrannte Felder. Der Hellene vermutete, daß
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