Hanibal
Liebster?«
»Ich halte die Ungewißheit nicht länger aus. Ich bin dort geboren. Ich hasse viele und liebe einige. Noch ist Qart Hadasht nicht völlig verloren. In der Stadt kann ich vielleicht etwas tun – mit Geld, mit Einfallen, mit Beziehungen. Wenn es sein muß, mit Bogen und Schwert. Hier kann ich nur warten und verrückt werden. Wenn Qart Hadasht fällt, fällt jede Stadt an dieser Küste – auch Igilgili, auch Rusadir. Alle. Hiram wird euch dann nach Mastia bringen, zum Dorf und zu Lysandros.«
Am Morgen des dritten Tages griff eine numidische Streife ihn auf. Die Reiter trugen weite weiße Gewänder, Speere und Schwerter. Ihre schnellen kleinen Pferde gehorchten jedem Schenkeldruck und Zuruf.
»Du Punier«, sagte der Führer des Trupps, ein graubärtiger Mann mit einer furchtbaren Narbe auf der Stirn. Sein Punisch war hart und brüchig. »Du Punier mitkommen; Fürst dich sehen und fragen. Dann…« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Kehle.
»Ich bin kein Punier, o Freund der Nachtfreuden und Herr der Zelte«, sagte Antigonos auf Numidisch. »Ich bin ein armer verirrter Kaufmann – Hellene.«
»Der Fürst wird entscheiden, was du bist.« Der Graubärtige grinste flüchtig. »Und davon hängt ab, was du sein wirst – toter Punier oder verirrter Hellene. Komm.«
Das Lager bestand aus etwa zwei Dutzend Zelten; Antigonos schätzte die Zahl der Krieger entsprechend auf über zweihundert. Die Pferde grasten auf den fetten Ackern und Weiden eines alten punischen Guts, und die geschwärzten Ruinen des Hauptgebäudes reckten flehend verstümmelte Arme aus Balken und Mauerresten in den hellblauen Frühlingshimmel.
Der Fürst musterte Antigonos. Er war noch jung, vielleicht zwanzig Jahre. Das von einem feinen schwarzen Bart umrahmte Gesicht war offen und freundlich, aber die Augen blickten hart. Antigonos empfand eine starke Sympathie für den Mann; er erinnerte ihn ein wenig an Hasdrubal. Unter anderen Umständen, sagte er sich, könnte es ein guter Tag mit guten Gesprächen sein.
Der Streifenführer reichte dem Fürsten Antigonos’ Schwert und den Dolch, beide in ihren Scheiden. »Herr Naravas – er sagt, er ist ein verirrter hellenischer Kaufmann. Ich glaube, er ist ein punischer Spion.«
Naravas nahm die Waffen entgegen, bedeutete Antigonos , abzusteigen und wies auf das Feuer, das zwischen Gebäuderesten loderte. »Verirrte Kaufherren soll man bewirten«, sagte er mit einem boshaften Lächeln. »Und punische Spione sollen gesättigt dieses Leben verlassen. – Es ist gut; ihr könnt gehen.« Der Fürst wies auf Lederdecken, die um das Feuer lagen. Als sie saßen, ließ er Antigonos von einem hellhäutigen Diener Kräuterbrühe und kaltes Fleisch bringen.
»Du siehst nicht unbedingt aus wie ein Punier«, sagte er dann. Seine Stimme war voll, angenehm und klang, als ob der Numider öfter mit gebildeten Gästen denn mit rauhen Kriegern spräche. »Aber das heißt nichts.« Übergangslos wechselte er ins Punische, das er akzentfrei sprach. »Da du durch diese Gegend reitest, wirst du zweifellos des Punischen mächtig sein.«
»Natürlich – welcher Kaufmann, der durch Libyen reitet , könnte auf die Kenntnis dieser Zunge verzichten?« Antigonos schlürfte vorsichtig den kochendheißen Sud.
Der Fürst runzelte die Stirn. »Nun zum Hellenen.« Er wandte sich dem hellhäutigen Diener zu. »Kleomenes, sprich mit ihm«, sagte er auf Numidisch.
Der Diener neigte den Kopf. »Wie du befiehlst, Herr. – Hellene, sagst du, Fremder? Dann sprich ein paar Worte, um mich zu überzeugen.«
Antigonos kniff die Augen zusammen. »O Kleomenes, wenn ich nicht nur diese wenigen Wörter von dir gehört hätte, könnte ich vielleicht besser sagen, wo du gelebt hast, ehe es dich hierhin verschlug. Sikeliot, möchte ich meinen – aus dem Westen der Insel. Herakleia, Selinus?«
Der Diener lächelte. »Akragas, Herr – aber seit die Römer meine Heimat vernichtet und die Bewohner niedergemetzelt haben, hört man nur wenige Akragantiner sprechen. Aber du – ich kann deine Heimat noch nicht nennen.«
Antigonos lachte. Vom neutralen Handelshellenisch des Westens ging er zum kehligen, makedonisch-ägyptisch geprägten Dialekt des Hafens von Alexandreia über. »Würde es dir die Sache erleichtern, wenn ich eine Weile so redete – oder wie ein kleiner Eseltreiber aus Kyrene?«
Naravas beugte sich vor. Ungeduldig sagte er: »Ich höre, daß er Hellenisch spricht – spricht er es gut, Kleomenes?«
»Ja, Herr
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