Hanibal
Richtungen. Zur Mündung hin fiel die Anhöhe schnell ab. Weit im Norden glommen die Feuer des Belagerungsheers um Ityke. Das Nordufer des Bagradas war von einer Feuerkette gezeichnet – die Posten der Söldner. Jenseits des breiten, tiefen Flusses, in der Ebene, erhellten Tausende Feuer die Nacht. Hin und wieder hörte man die Trompetenstöße von Elefanten.
Antigonos war eben eingeschlafen, als Pferdegetrappel ihn weckte. Naravas und seine zehn Begleiter kamen zurück. Der junge Numider gab halblaut ein paar Anweisungen; dann kam er zu dem Baum, unter dem Antigonos und Kleomenes saßen.
»Seltsam.« Er deutete auf den Fluß und die Ebene am anderen Ufer. »Ich habe mit Spendius und Audarido gesprochen.« Er klickte mit der Zunge. »Sie bieten uns mehr Land, Beteiligung an der Beute, Herrschaft über die punischen Städte an unserer Küste. Lauter große Versprechungen. Aber …« Er starrte weiter zum Bagradas hinab und schüttelte den Kopf.
»Was ist so seltsam?« fragte Antigonos. »Die Feuer, der Fluß, die Elefanten?«
Naravas lehnte sich an den Baum und streckte die Hand aus. Kleomenes reichte ihm eine Lederflasche. Der Massyler trank.
»Nein«, sagte er dann. »Oder doch, ja. Matho belagert Hipu.
Spendius belagert Ityke. Audarido hat den Befehl in Tynes. Es gibt ein großes Lager weiter flußauf– Libyer und ein paar sikeliotische Söldner, die hierhin und dahin geschickt werden können, je nachdem, wo man sie braucht. Spendius hat an der Mündung, wo die einzige Brücke ist, eine befestigte Stadt bauen lassen – dort liegen über zehntausend Mann. Als die Punier am Nachmittag in der Ebene drüben erschienen sind, ist der Italier von Ityke hierher gekommen. Alle Furten sind bewacht. Und, wie gesagt, die Brücke – kein Punier wird den Bagradas überschreiten können. Trotzdem sind sie da, in der Ebene. Was wollen sie?«
Antigonos hob die Schultern. »Hoffen und warten – das einzige, was sie tun können. Leute aus der Belagerung von Ityke abziehen, vielleicht auch von Tynes her.«
»Ja, ja«, sagte Naravas unwirsch. »Aber das ist nicht so seltsam. Das Heer der Punier – das eigentliche Heer unter Hanno liegt noch immer vor Tynes, sagt Audarido. Die Söldner in Tynes belagern Qart Hadasht, und Hanno belagert Tynes – als eine Art vorgeschobene Mauer. Und nun frage ich mich, wer ist das da drüben?«
»Vielleicht erfährst du es morgen«, sagte Antigonos. »Denk an meine Worte.«
Naravas schnaubte. »Ich denke an alles mögliche. Wir werden sehen. Jetzt sollten wir ruhen – solange wir können.«
Laute, erregte Stimmen rissen Antigonos aus dem Schlaf. Er setzte sich auf. Überall liefen Massyler herum und starrten zum Fluß hinunter. Antigonos rieb sich die Augen, sprang auf und suchte Naravas.
Der Fürst stand neben einem der vordersten Bäume des Kammwalds. Er hatte seinen bronzebesetzten Lederpanzer angelegt. Erst jetzt bemerkte der Hellene, daß auch die übrigen Numider Rüstung, Speer und Schwert trugen.
»Dieser schwarze Daimon«, murmelte Naravas, als Antigonos neben ihn trat. »Dieser großartige finstere listige Daimon!«
Auf der Ebene jenseits des Bagradas standen Zelte. Die tausend Feuer waren niedergebrannt. Vier Elefanten mit Türmen und je zwei oder drei Bogenschützen waren zu sehen, sonst nichts und niemand.
Die Söldnerposten auf dem Nordufer waren verschwunden.
Von der Mündung näherte sich ein Heer. Elefanten bildeten die Spitze – mindestens sechzig. Die Strahlen der Morgensonne blitzten auf den scharfen Klingen, mit denen die Stoßzähne verlängert waren. Die roten Tücher unter den Schützentürmen schienen unheilvoll zu lodern. Das breite Ufer unterhalb des Kamms war noch leer.
Hinter den Elefanten folgten, soweit Antigonos es sehen konnte, Reiter und Leichtbewaffnete – Schleuderer und Speerwerfer. In der weiten Ebene zwischen Ityke und der Mündung stieg Staub auf – zweifach.
»Wie hat er das nur gemacht?« sagte Naravas. »Wie kann er das nur gemacht haben?«
Numider kamen zwischen den Bäumen herbeigeritten und sprangen vor Naravas ab.
»Herr«, sagte einer keuchend, »es ist Hamilkar der Blitz. Ich kenne ihn – ich habe ihn gesehen. Hinter den Elefanten sind Reiter und leichte Fußtruppen, dahinter die Schweren. Hamilkar ist bei ihnen – zu Pferd.«
»Wie hat er das geschafft?« schrie Naravas. Er packte den nächststehenden seiner Kundschafter am Gewand und schüttelte ihn. »Wie, Mann?«
»Wind aus dem Land, Herr«, sagte einer der
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