Hanibal
Gallier, dem Aussehen und der Rüstung nach. Die Männer trugen keine Waffen; sie standen zwischen den Felsen, mit denen Hamilkars Leute den Talausgang versperrt hatten. Hinter ihnen, nochinBogenschußweite, drängten sich zahllose Eingeschlossene. Antigonos konnte nicht einmal Gesichter erkennen, aus dieser Entfernung, aber er bildete sich ein, verkrustetes Blut in Mundwinkeln und auf Kinnspitzen wahrzunehmen. Es war windstill; dennoch schien wie überkochende Milch das Böse aus dem Tal zu schwappen – Kadaver, der Kot und die klebrigen Dünste von Fünfzigtausend. In Gedanken verbesserte er sich: Es waren keine fünfzigtausend Männer mehr. Ein Würgen stieg ihm in die Kehle, ein ätzender Ball aus Schlangengalle, der immer wieder hochkam, so oft er auch schlucken mochte. Seine Zunge war eine wimmelnde Schwäre.
Die Punier hatten ihn bis zu Hamilkar durchgelassen; sie wußten, wer er war. Durch das Klirren seiner Ohren hörte er die Stimme des Barkas.
»Dies sind meine Bedingungen. Nehmt sie oder nehmt sie nicht. Zehn Geiseln, die ich aussuche. Alle anderen können einzeln die Schlucht verlassen, unbewaffnet, mit erhobenen Händen und nur mit dem Chiton oder einem Untergewand bekleidet.«
Spendius, Audarido und Zarzas berieten flüsternd. Der Italier beendete das Gespräch mit einer brüsken Handbewegung. »Wir haben keine Wahl«, sagte er. Die Stimme war metallisch, das Punische klang fremd. Er wandte sich an Hamilkar. »Wir müssen annehmen, Barkas.«
Hamilkar stand hoch aufgerichtet da. Er hatte die Hauptmacht des Feindes, der seit drei Jahren das Land verheerte und die Stadt fast zum Untergang gebracht hatte, in die Falle getrieben und zur bedingungslosen Aufgabe gezwungen. Sein Gesicht unter dem Kesselhelm zeigte nur zweierlei: Ekel und Müdigkeit. Er bleckte die Zähne in einer Art Grinsen.
»Die zehn Geiseln seid ihr.« Er deutete auf die Anführer.
»Nehmt sie fest.«
Die Führer, die damit offenbar nicht gerechnet hatten , obwohl sie kaum etwas anderes erwarten durften, standen einen Moment regungslos. Bis sie sich aus der Erstarrung lösten, waren sie bereits von Hamilkars Männern umringt. Sie wurden gefesselt und zwischen den Blöcken hindurchgezerrt.
Das Tal der Säge schien zu bersten. Die Eingeschlossenen konnten noch nichts von den Bedingungen wissen; sie sahen nur, daß ihre Führer – ihre unverletzlichen Gesandten – gefesselt wurden. In wenigen Momenten hatte die Nachricht das ganze Tal durchlaufen. Die Eingeschlossenen, seit vielen Tagen unter Durst, Hunger, Hitze, Angst, furchtbarem Druck von außen, schrecklicher Enge und schließlich ihren eigenen namenlosen Verbrechen leidend, fühlten sich im Verrat verraten, in der Ruchlosigkeit entehrt. Sie schrien, tobten, griffen zu den Warfen, stürzten sich zwischen die Felsen.
Gätulische Bogenschützen, neben dem Talausgang und in halber Höhe darüber, zogen die Sehnen. Pfeile sirrten durch die stickige Luft. Balliaren, hinter den Felsen, wirbelten ihre schwarzen Bastschleudern. Sie warfen schneller und genauer, als die Gätulier schießen konnten. Die ersten Reihen der Anstürmenden wurden niedergemäht; über die Leichen und die Körper der Verwundeten drängten Libyer und Söldner nach. Mit der Linken stieß Hamilkar Antigonos beiseite; Männer seiner Leibgarde – Punier – deckten den Hellenen, die Gefangenen und den Feldherrn. Mit der Rechten riß Hamilkar das Schwert aus der Scheide und reckte es hoch.
Ein Wall von Verletzten und Leichen türmte sich zwischen den Felsen – schwarze zuckende Rampe für die Eingeschlossenen. Immer mehr stürmten heraus und trafen auf die tiefe Phalanx der schwerbewaffneten Iberer. Hamilkar hatte die undisziplinierten Kämpfer des anderen Strategen in Stellung gebracht. An den Seiten und hinter ihnen standen zuverlässige Kerntruppen.
Antigonos stolperte fort vom Talausgang. Aus dem Kessel drang Sturm, der weiter anschwoll; ein Geräuschgemenge, für das es keinen Namen gab. Wut, Angst und Tod; Schreie, dumpfes Jaulen, Gekreisch und Gebrüll, Mord und Untergang, durchsetzt von metallischen Fasern des Klirrens: ein hörbarer Teppich aus klumpigem Blut, das schwarze Malmen des Hades. Tausende versuchten, die gesperrten Ausgänge freizukämpfen, ohne jede Aussicht. Andere Tausende würden die steilen Felswände ersteigen; oben warteten Speere und Schwerter. Am Ende, nach dem Ende, die Elefanten, hundert Elefanten mit langen Messern auf den Stoßzähnen, mit breiten weichen schweren Füßen,
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